Neuerscheinung: AAAAAAAAntisemitismus asemantisch. Hg. v. Judith Kasper, Karl-Josef Pazzini, Mai Wegener (98. Ausgabe des RISS-Zeitschrift für Psychoanalyse)

Die kürzlich erschienene 98. Ausgabe des RISS – Zeitschrift für Psychoanalyse ist der allgegenwärtigen und doch schwer fasslichen Thematik des Antisemitismus gewidmet. Anlass war das Attentat auf die Synagoge in Halle am 19. Oktober 2019 und die daran anknüpfenden Auseinandersetzungen zu den offenkundig verkannten antisemitischen Kontinuitäten, die die bundesdeutsche Alltagsnormalität durchziehen.

Doch etwas, so die Ausgangsthese der Heftausgabe, zwingt zur sprachlichen Verkomplizierung, sobald man „über“ Antisemitismus möglichst präzise zu sprechen sucht und dabei auf eine Unmöglichkeit stößt, eine endgültig definierende Inhaltsbestimmung zu formulieren, was Antisemitismus genau sei, wie er in Erscheinung tritt, woran er zu erkennen ist, um ihn in den Griff zu bekommen. Versuche dieser Art sind und bleiben eine unerlässliche Arbeit. Die aktuelle RISS-Ausgabe mit dem Titel  „AAAAAAAAntisemitismus asemantisch“ interessiert sich allerdings im Besonderen für die Schwierigkeiten des Definierbaren, um auf eben solche Momente des Widerstrebens und Entziehens hinzuweisen und danach zu fragen, wie mit ihnen auf spezifisch psychoanalytische Weise umgegangen werden könnte.

„Die im Band versammelten Beiträge“ wie die Herausgeber:innen im Editorial schreiben, „durchzieht bei allen Unterschieden ein gemeinsamer Zug: Sie nähern sich der Abwehr gegen und dem Hass auf (den) Juden nicht direkt […] sondern von der Seite her. […] Oft idiosynkratisch nah am Wortlaut alltäglicher Rede umkreisen die Beiträge Szenen, Momente, in denen das Objekt „Jude“, „Jude“ als Objekt, ebenso beiläufig wie schlagartig im Sprechen konstruiert wird. Randständiges, am Rand des Semantischen Stehende, kurz Asemantisches wird adressiert; Verstörendes in der Sprache selbst wird zum Ausgangspunkt für den Versuch, etwas hörbar werden zu lassen und zugleich dieses Etwas von allzu schneller Semantisierung, Deutung und Denunziation als Antisemitismus des Anderen zurückzuhalten. Diese Spannung zu halten, darin liegt die Herausforderung dieses Heftes.“

Neben Beiträgen von Judith Kasper (Sprachwunden, Verdachtshermeneutik, semantische Fallen – eine lose Sammlung), Karl-Josef Pazzini (Transmissionen des »Antisemitismus« / Woher kommen sie denn? Zwei Fragmente aus Analysen), Mai Wegener (Zu Laurence Bataille: Es fehlt mir an Sein / Zu Louis Kaplan: Vom jüdischen Witz zum Judenwitz) und Jean-Claude Milner (Lacan der Jude) setzt sich das Heft mit der Arbeit der Pariser Psychoanalytikerin Anne-Lise Stern auseinander, die Lacans Verschiebung der Psychoanalyse als eine Psychoanalyse nach der Shoah liest. Auf Einladung der Herausgeber:innen ist außerdem ein vielstimmiges Dossier zu den 1.000-Seiten starken Prozessmitschriften des Halle-Anschlags entstanden, die auf Initiative des Vereins democ. Zentrum Demokratischer Widerspruch e.V. angefertigt und bei Spector Books unter dem Titel Der Halle-Prozess – Mitschriften publiziert worden sind.

von Larissa Krampert


Eine Selektion der literaturwissenschaftlichen Beiträge der RISS-Zeitschrift für Psychoanalyse ist auch über das Fachrepositorium CompaRe frei zugänglich.



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