Mythenschlüssel und Urkultur: Antiquarismus und Aitiologie im 19. Jahrhundert
Das Teilprojekt befasst sich mit Universalmythologien des 18. und 19. Jahrhunderts und ihrer Bedeutung für die Mythenexegese der späteren Folkloristen und Anthropologen, denen das gesammelte und zu mythologischen Systemen verdichtete Material im Hinblick auf die Menschheitsgeschichte als aitiologisches Modell einer Urkultur dienen sollte. In einer diachronen Perspektive soll nach Kontinuitäten und Transformationen innerhalb der ätiologischen Narrative gesucht werden, die ihren Ausgangspunkt in den großen antiquarischen Ursprungserzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts nehmen.
Dabei sind zwei Schwerpunkte vorgesehen. Zum einen die Aufarbeitung meteorologisch konnotierter femininer Mythologien wie Gewittergöttinnen, Nebelhexen und Weißen Frauen, die über die Paradigmenwechsel der Mythensysteme hinweg als Phänomen immer wieder neue Erklärungen einforderten und so zu einer besonders aussagekräftigen Projektionsfläche werden konnten. Zum anderen die Arbeit der Mythenforscher des 19. Jahrhunderts zur baltischen und besonders zur litauischen Mythologie und Volksdichtung, deren Suche nach einem materiellen Grund der Kulturgenese, in Naturvolknarrativen gipfelte, denen ein kolonialistisches Moment zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang soll unter anderem danach gefragt werden, welche Rolle die Folkloristik in der Ausarbeitung der Mythenschlüssel spielte, wie sie von den Materialsammlungen der vorangegangenen Generation profitierte und welches ideologische Potential Ursprungserzählungen in der Erschließung fremder Kulturen entfalten konnten.