Partikulare Poetiken im Literaturforum im Brecht-Haus, Berlin
Partikulare Poetiken
Projektleitung Clemens Böckmann, Annika Klanke und Stephanie Marx
Die Popularität autofiktionaler Literatur zeigt: Geschichten, in denen Autor*innen ihr Leben und ihre Erfahrungswelten als literarischen Stoff verarbeiten, faszinieren Leser*innen weltweit. Trotz des immer wieder postulierten Endes dieses Genres prägen solche Texte nach wie vor Verlagsprogramme und Buchpreislisten. Angesichts der ungebrochenen Konjunktur der Autofiktion gilt es, ihre kulturellen und ästhetischen Funktionen zu analysieren und ihre gesellschaftspolitischen Potenziale sowie ideologischen Herausforderungen zu diskutieren.
Eintritt frei!
Mit freundlicher Unterstützung durch die Crespo Foundation.
Do. 23.01., 16:30 Uhr
Formen, Funktionen und Fragestellungen der Autofiktion
Mit Daniela Henke und Emily Modick
Daniela Henke Das prekäre Ich. Autofiktion als identitätspolitisches Phänomen
Viele autofiktionale Romane der Gegenwart verhandeln identitätspolitisch besetzte Themen, indem sie etwa von migrantischen und postmigrantischen, non-binären, weiblichen sowie klassistisch diskriminierten Lebensrealitäten erzählen. Wie hängen autofiktionales Schreiben und identitätspolitische Inhalte zusammen?
Emily Modick Macht, Markt und Manuskripte – Überlegungen zur Verlagsarbeit im Literaturbetrieb der Gegenwart
Stimmt es, dass ein Verlag allein aufgrund der Qualität entscheidet, ob ein Text verlegt wird? In Zeiten identitätspolitischer Diskurse wird immer häufiger gefragt, wer worüber schreiben »darf«. Manche Autor*innen werden vor allem deshalb unter Vertrag genommen, weil sie eine große digitale Reichweite mitbringen. Ist für einen Verlag die Frage wer schreibt so wichtig wie was geschrieben wird? Welche Bedeutung kommt dabei der Autofiktion zu?
Do. 23.01., 20:00 Uhr
Partikulare Poetiken der Autofiktion: Stil-, Wertungs- und Formfragen
Mit Paul Brodowsky, Christina Wessely, Daniela Henke und Emily Modick
Auf dem Abendpodium des Workshops geht es um ästhetische Fragen: Einerseits werden die gestalterischen Paradigmen in den Blick genommen, denen autofiktionale Texte verpflichtet sind, und gefragt, wie Autofiktion historisch gewachsene Vorstellungen von Literarizität und Poetizität, gar von Literatur selbst und ihrem ästhetischen Vermögen, verschiebt. Andererseits wird der Blick auf die formale Verschiedenheit autofiktionaler Texte und die innovativen ästhetischen Entwürfe in diesem Genre gerichtet: Unter welchen ästhetischen Kategorien und Wertmaßstäben lassen sich Autofiktionen literaturkritisch verhandeln? Findet die formale Variabilität der Autofiktion in der Rezeption Berücksichtigung oder werden die Texte auf ihre inhaltlichen Aspekte verengt? Wohin entwickelt sich die Literatur in, durch und nach der Autofiktion?
Fr. 24.01., 15:30 Uhr
Zukünfte der Autofiktion
Mit Johannes Franzen und Alexandra Schauer
Johannes Franzen Wer darf erzählen? Eine Konflikttheorie des narrativen Eigentumsrechts
Wem gehört eine Geschichte? Wer darf sie erzählen? Um diese Fragen entzünden sich immer wieder heftige Debatten, obwohl die Autonomie der Literatur die Autor*innen von den Forderungen eines narrativen Eigentumsrechts doch eigentlich entlasten sollte. Wie also entstehen und eskalieren Konflikte über das Problem der narrativen Enteignung?
Alexandra Schauer Autofiktionales Schreiben und spätmoderne Selbstkonstitution Autofiktion ist Genrebezeichnung, Modewort, Marketingstrategie und Teil literarischer Selbstreflexion. Aber wie lässt sich der Aufstieg der Autofiktion gesellschaftstheoretisch erklären? Lässt er sich als literarischer Niederschlag eines größeren gesellschaftlichen Strukturwandels verstehen, der – angestoßen durch eine ökonomische Transformation – zu einem völlig neuen Verhältnis von privat und öffentlich, Arbeit und Leben, Selbst und Welt führt?
Fr. 24.01., 18:30 Uhr
Identity Counts in Large Amounts? Ethik und Ästhetik der Autofiktion
Mit Heike Geißler, Dinçer Güçyeter, Johannes Franzen und Alexandra Schauer
Autofiktion ist oftmals ein Ringen um die eigene Identität. Damit wirft sie zugleich grundlegende Fragen nach den Möglichkeiten, Grenzen und Konflikten der Subjektwerdung im 21. Jahrhundert auf. Es bleibt zu prüfen, ob die Autofiktion jene stilprägende Literaturform der Postmoderne darstellt, die die Realität einer Gesellschaft von Individualitäten nicht nur abbildet, sondern auch ihrem Selbstverständnis entspricht. Aus dieser zeitdiagnostischen Perspektive ergeben sich ästhetische, ethische und politische Fragestellungen, die auf diesem Podium diskutiert werden sollen: Wo lässt sich das Ich der Autofiktion im Spannungsfeld zwischen Partikularität, Relationalität und Universalität verorten? Welche Implikationen hat das Sich-selbst-Schreiben für die Darstellung der »Anderen«, die in diesen Erzählungen auftauchen? Und welche Bedeutung kommt abstrakten Instanzen wie »dem Markt« oder der Literaturkritik zu, wenn es um die ethischen und ästhetischen Aushandlungsprozesse geht, die den aktuellen Boom der Autofiktion begleiten?