Konferenzen, Tagungen

Ethik der Emotionen im Drama vom Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Neue Perspektiven der kulturgeschichtlichen Forschung

Beginn
20.03.2024
Ende
22.03.2024

Ethik der Emotionen im Drama vom Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Neue Perspektiven der kulturgeschichtlichen Forschung

Tagung im Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) in Halle an der Saale vom 20. bis 22. März 2024

Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges entwickelt sich das Drama im deutschsprachigen Raum rasant und wird im 18. Jahrhundert rasch zur publikumswirksamsten Gattung (Steinmetz 1978; Alt 1994; Brenner 1999; Baumann 1985; Krämer 1998; Urchueguía 2015; Meid 2009: 327-501). Es wird zu einer ‚Schule der Affekte’ (palaestra affectum, Rotermund 1972: 25), in der man zunächst lernen soll, sich von Emotionen unabhängig zu machen (Schings 1971), später gewünschte Emotionen zu empfinden und mit unerwünschten wie Angst, Neid oder Leid angemessen umzugehen (Schings 1980; Wiegmann 1987; Schulz 1988a; Schulz 1988b; Lukas 2005; Schonlau 2017; Steigerwald/Meyer-Sickendiek 2020). Da die Emotionskonzepte des langen 18. Jahrhunderts teilweise von heutigen abweichen (Meier 1993; Zeller 2005), sind sie nur mittels genauer Rekonstruktion im jeweiligen historischen Kategoriensystem zu verstehen. Andernteils lässt sich jedoch auch beobachten, wie sich Emotionskonzepte herausbilden, die als modern bezeichnet werden können. In der Forschung gibt es bereits verschiedene Theorien zur Rolle der Bewertung von Emotionen in diesem Zeitraum (Wegmann 1984; Greis 1991; Stalfort 2013; Fulda 2015). Diese basieren fast ausschließlich auf theoretischen Schriften über Emotionen. Im Rahmen der Tagung wird deshalb die Bewertung und Gewichtung von Emotionen in breit rezipierten Dramentexten selbst untersucht. Anstatt ideengeschichtliche und sozialgeschichtliche Umbrüche in der Emotionalisierung vorauszusetzen, wird gefragt, wann und unter welchen literarischen und außerliterarischen Bedingungen Emotionen, emotionalisierte Figuren und Themen neu gewichtet und bewertet werden. Dabei interessiert insbesondere, wie die Ethik der Emotionen mit der Formierung bzw. Wahrnehmung von Dramentexten als Textgruppen wie Genres, Repertoires, Publikationszusammenhängen etc. zusammenhängt.

Mit der Formulierung ‚Ethik der Emotionen‘ soll der folgende Zusammenhang gefasst werden: Emotionen im Drama sind zunächst einmal an Emotionen von Figuren gebunden, werden von diesen bewertet und Figuren bewerten andere Figuren aufgrund ihrer Emotionen. Zudem sind die Figuren(typen), ihre Handlungen und Themen so gewählt und ihre Emotionen so gestaltet, dass sie von Rezipierenden in bestimmter Weise bewertet werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere Theaterautoren und -bearbeiter emotionsbezogene Effekte und Publikumsreaktionen beim Schreiben berücksichtigen. Dabei ist die Ethik der Emotionen sowohl von solchen Techniken bestimmt, die auf affirmative bzw. empathische Reaktionen der Rezipierenden abzielen, als auch von solchen, die Distanz zu den Emotionen herstellen. Zu letzteren gehören etwa starke Artifizialität, Selbstbezüglichkeit, aber auch Komik (vgl. Dennerlein 2021) und Ironie.

Die Vorträge sind Dramentexten – eingeschlossen Libretti und deren Vertonungen – gewidmet, deren Aufführungen und Paratexten aus dem Zeitraum von 1650-1850 stammen. Der Begriff ‚Emotion‘ wird als metasprachlicher Oberbegriff für mehrere historische Konzepte der Zeit verwendet wie ‚Affekt‘, ‚Passion‘, ‚Leidenschaft‘ oder ‚Gefühl‘, die in den einzelnen Beiträgen jedoch durchaus differenziert werden sollen. Als ‚Dramen‘ werden dabei all diejenigen Dialogtexte verstanden, die zur Aufführung gemacht sind. In Ergänzung bisheriger Unternehmungen sollen heute nicht mehr kanonische Werke und Werkgruppen im Zentrum stehen. Der Fokus liegt auf deutschsprachigen Werken, die Produktion anderer europäischer Sprachräume soll jedoch berücksichtigt werden, sofern sich Aufführungen, Drucke und Einflüsse im deutschsprachigen Gebiet nachweisen lassen. Im Rahmen der Tagung werden auch die Ergebnisse der KI-gestützter Emotionszuweisungen kritisch diskutiert, die im DFG-Projekt „Emotions in Drama“ erarbeitet wurden – etwa zu spezifischen Emotionen wie ‚Angst‘, ‚Liebe‘, oder ‚Freude‘ bzw. zu Nebentexten, Monologen, Gesangsnummern und Dramenschlüssen (Dennerlein/Schmidt/Wolff 2022a,b bzw. Detken 1998, Kraft 2011).

Die Ethik der Emotionen kann sowohl ethischen als auch ästhetischen Aspekten folgen; ihre Untersuchung ermöglicht in Kombination mit den verhandelten Themen einen guten Zugriff auf die Verortung eines Dramas im Kunst- sowie im Sozialsystem. Die genaue Analyse der Texte und das Verständnis der kommunikativen Einbettung der Werke in literarisch-ästhetische Zusammenhänge und in Publikations- und Aufführungskontexte soll es ermöglichen, das Verhältnis zur Ethik der Emotionen in anderen gesellschaftlichen Diskursen wie z.B. Recht, Religion und Politik zu rekonstruieren.

TAGUNGSORT: Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), Franckeplatz 1, 06114 Halle (Saale), Haus 54, Thomasius-Zimmer

Tagungsprogramm

Mittwoch, 20. März 2024

13.00 Katrin Dennerlein, Daniel Fulda: Begrüßung und Einführung

Niedere vs. hohe Gattungen (Moderation: Steffen Martus)

13.30 Conrad Fischer: Kritik der Gespensterangst. Gryphius als Geistergelehrter

14.15 Bernhard Jahn: Religiöse Emotionen in Bibeldramen: Weise – Bodmer – Klopstock

15.00 Kaffeepause

15.30 Dirk Niefanger: Emotionsregie und ethische Eingriffe in unterschiedlichen Dramendrucken Lessings

16.15 Patrick Fortmann (ZOOM): Die Würde der Gefühle im frühen Sozialdrama

17.00 Pause

17.30 Stephan Kraft: Hunde und Kinder. Szenen emotionaler Überrumpelung in einigen Dramen des späten 18.  Jahrhunderts.

18.15  Barry Murnane: 'Monstrous Melodrama': Schaudern als Störfaktor im deutsch-englischen Kulturtransfer um   1800

20.00    gemeinsames Abendessen

Donnerstag, 21. März 2024

Moderation: Daniel Fulda

09.00 Tilman Venzl: Ein vielfaches Theaterstück? „Karl XII. vor Friedrichshall“ und die Affektdramaturgie des Wandertheaters

09.45 Katrin Dennerlein, Christine Knoop: Schadenfreude in Kasperl-Stücken des Leopoldstädter Theaters

10.30  Matthias Mansky: Affektkontrolle und Komödienspiel in Ferdinand Raimunds Zauberstücken

11.15 Kaffeepause

Bearbeitungen (Moderation: Katrin Dennerlein)

11.45 Stefan Hulfeld: Giacinto Andrea Cicognini oder Archäologie des Melodrams

12.30 Nina Birkner: Ethik der Emotionen in Adaptionen von Schillers Räubern

13.15 Mittagspause

14.30 Martin Schneider: Gefühlsethik und Theaterpraxis: Zur Emotionsdarstellung in den Regiebüchern von Goethes Weimarer Direktionszeit

Musikalisch verstärkte Emotionen? (Moderation: Frieder von Ammon)

15.15 Cristina Urchueguía: Das Herz des Automaten: Objekte und Technologien als emotionale Motoren im Singspiel des 18. Jahrhunderts                                                                                            

16.00 Kaffeepause

16.30 Daniel Fulda: Warum sind Barockopern heute wieder so beliebt? Wiedererkennungspotentiale in der vormodernen Ethik der Affekte     

Gendering von Emotionen (Moderation: Daniel Fulda)

17.15   Antje Arnold: Todesurteil im Lustspiel? Joh. Chr. Unzers Die neue Emma (1775) im Vergleich mit Telemanns Singspiel Die Last-tragende Liebe (1728)        

18.00 Die Zähmung „unordentlicher Begierden“? Zur geschlechtsspezifischen Modellierung von Leidenschaften in Friedrich Ludwig Schröders „Hamlet“-Bearbeitungen 

20.00    gemeinsames Abendessen

Freitag, 22. März 2024

09.00 Irmgard Scheitler: Witwentrauer und Zynismus: „Die Matrone von Ephesus“

09.45 Anna Albrektson: The emotional ethics of transgression: Medea and 18th-century genre

10.30 Kaffeepause

Emotionsregie im Druck (Moderation: Frieder von Ammon)

11.00 Maurizio Pirro: Affektsteuerung als Anordungskriterium in Gottscheds „Deutscher Schaubühne“

11.45  Anke Detken: „Ach, wie rührend!“ Zur unterschiedlichen Emotionsdarstellung in populären französischen und deutschen Komödien um 1800

12.30 Verabschiedung

Die Veranstaltung ist öffentlich, die Teilnahme ist kostenlos. Um vorherige Anmeldung per E-Mail wird gebeten. An Personen, die eine Teilnahme in Halle nicht möglich machen können, kann ein Webex-Link versendet werden. Bitte schreiben Sie in diesen Angelegenheiten an Frau Nishnik (izea@izea.uni-halle.de).

Die Tagung wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.

KONTAKT
PD Dr. Katrin Dennerlein
Universität Würzburg
Institut für Deutsche Philologie
Am Hubland
97074 Würzburg
katrin.dennerlein@uni-wuerzburg.de

Prof. Dr. Daniel Fulda
Universität Halle-Wittenberg
Germanistisches Institut
06099 Halle (Saale)
daniel.fulda@germanistik.uni-halle.de

Contact Information

PD Dr. Katrin Dennerlein
Institut für Deutsche Philologie
Am Hubland
97974 Würzburg
www.katrindennerlein.de

Contact Email

katrin.dennerlein@uni-wuerzburg.de

URL

https://www.izea.uni-halle.de/veranstaltungen/uebersicht.html

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Literatur aus Großbritannien und Irland, Literatur und Psychoanalyse/Psychologie, Literatur und Philosophie, Drama allgemein, Stoffe, Motive, Thematologie, Literatur des 17. Jahrhunderts, Literatur des 18. Jahrhunderts, Literatur des 19. Jahrhunderts

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Einrichtungen

Universität Halle-Wittenberg
Datum der Veröffentlichung: 02.02.2024
Letzte Änderung: 02.02.2024