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WRITING FASHION – Call for Abstracts, Wiener Digitale Revue

Deadline Abstract
30.04.2024
Deadline Beitrag
31.08.2024

writing fashion: Wiener Digitale Revue – Nr. 6

Call for Abstracts

For English version see below.

 

„Schiebe ich die Kleidung zwischen mich und das Nichts, damit ich dableiben kann, ohne daß man merkt, daß ich da war?“

Elfriede Jelinek: Mode

 

Ein wenig leuchtet im deutschsprachigen Raum die Punzierung der Mode als oberflächliches, nebensächliches Phänomen noch durch. Begründet liegt diese Positionierung etwa an Denkern wie dem Sozialwissenschaftler Georg Simmel, der in seiner Schrift Die Mode (1911) gegen die zunehmende Schnelllebigkeit seiner Zeit anschreibt, oder an Schriftstellern wie Stefan Zweig, der – ins selbe Horn stoßend – die „Diktatur der Mode“ 1925 in einem Feuilleton als großen Schritt Richtung „Monotonisierung der Welt“ ausmacht. Die Auseinandersetzung mit Mode erscheint als eine Art Königswegs zur Theorie der Moderne: beide sind flüchtig, beschleunigt und stetem Wandel unterlegen.

Durch vielfältige sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einer Modetheorie konnten die pejorativen Sichtweisen mittlerweile verdrängt werden. Einflussreich waren etwa Roland Barthes’ semiotische Arbeit an der ,Übersetzung‘ des Phänomens Mode in Sprache (vgl. Barthes 1985) oder Pierre Bourdieus strukturelle Homologie von „haute couture“ und „haute culture“, seine Einbindung der Mode in die Analyse sozialer Distinktion (vgl. Bourdieu 1993). Barbara Vinken setzt wertvolle Akzente zur Geschlechtertheorie der Mode sowie zum Verständnis von Crossdressing; Elena Esposito fasste die Paradoxien der Mode zusammen, indem sie den Wechselwirkungen von Distinktion und Nachahmung nachging.

Die Onlinezeitschrift Wiener Digitale Revue wendet sich vor diesem Hintergrund in ihrer sechsten Ausgabe dem Thema Mode in seinen literarischen Ausformungen zu. Walter Benjamin sah in der bekannten Passage aus „Über den Begriff der Geschichte“ in der Mode einen gesellschaftlichen Seismographen: „Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene. Nur findet er in einer Arena statt, in der die herrschende Klasse kommandiert.“ Benjamins Metaphern stecken den Wirkungsbereich von Mode ab, im Passagenwerk fügt er einen weiteren Aspekt hinzu: die „außerordentlichen Antizipationen“ der Mode, was ihren „größten Reiz“ ausmache, jede Saison bringe „irgend welche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge“, man müsse die Signale nur lesen können.

Mode hat die Fähigkeit, die reale Welt und das Imaginäre „ineinander zu blenden und dem realen Leben eine mythische Qualität, und zugleich dem imaginierten Leben ein Realitätsprädikat zu verleihen.“ (Kraß 2006, 11) Mode scheint unvorhersehbar ihre Launen zu diktieren – und ist doch ein Spiel nach Regeln, ein differenziertes Zeichensystem im historischen Wandel. Wer den Dresscode beherrscht, nicht over-, nicht underdressed ist, ist im Besitz des entsprechenden Wissens – und der entsprechenden Kleidung.

Für die Literatur interessant erscheint das Phänomen Mode, weil sich in ihr zahlreiche Dimensionen des Lebens in der Moderne bündeln und wechselseitig aufeinander beziehen: religiöse, ästhetische, mediale, historische, ökonomische, psychologische, soziale, ethische, politische, geschlechtsspezifische und andere mehr. (vgl. Kutschbach/Schmieder 2015, 11)

Die Wiener Digitale Revue lädt zu Analysen des literarischen Schreibens über Mode, des writing fashion ein – und dabei explizit auch zu Beiträgen über nicht-deutschsprachige Literatur. Wir stellen die Kleidermode in den Mittelpunkt (nicht etwa wissenschaftliche oder andere Moden). Auch wenn klare Trennlinien nicht möglich sind: Uns ist die Abgrenzung zu ,Kleidung‘ (etwa zur Metapher der Kleidung als „zweite Haut“), zum Vestimentären wichtig; unsere Ausgabe interessiert sich nicht für Ausformungen oder Performanzen der Autorfigur, nicht für vestimentäre Praxen im Literaturbetrieb. Wir möchten mit der Ausgabe das „epistemologische Potenzial der Mode als wesentliche Figuration der Moderne“ (Bertschik 2005, 108) weiter ergründen helfen. – Dabei denken wir in erster Linie an die Literatur unserer Gegenwart. Wenn wir aber Mode als Ausdruck gesellschaftlicher, politischer, künstlerischer Strömungen sehen, rückt die Literatur aus vielen Epochen ins Interesse.

  • „Die Mode geht von oben nach unten“ (Ihering 1881, 115): Wird Mode in der Literatur als Herrschaftsindikator, als Analysekategorie ökonomischer Prozesse eingesetzt?
  • Wie wird Crossdressing in der Literatur inszeniert? Inwiefern erscheint Mode im Zusammenhang mit Gender-Diskursen?
  • In welcher Sprache tritt uns – in Anschluss an Barthes (1967/1985) und Reinacher (1988) – Mode in der Gegenwartsliteratur gegenüber?
  • Gibt es über die von Venohr (2010) untersuchten Beispiele hinaus Berührungspunkte zwischen Literatur und Modejournalismus?
  • Lässt sich die Analyse von Mode in Literatur für die Inter- und Transmedialitätsforschung – etwa in der Analyse von Text-Bild-Bezügen – fruchtbar machen?
  • Welche poetologische Relevanz entfalten Modefragen (vgl. Degener/Gürtler 2015)?
  • Erscheint Mode in literarischen Texten als politische Größe im Zusammenhang mit Globalisierung oder ökologischer Wende?

Wir laden ein, Abstracts in der Länge von max. 3000 Zeichen bis 30. 4. 2024 an claudia.duerr@univie.ac.at zu senden.

Beiträge in Deutsch und Englisch sind willkommen. Mit der Entscheidung über die Aufnahme ist bis Mitte Mai zu rechnen.

Abgabe der Beiträge: 31. 8. 2024

Die Beiträge werden einem Peer-review-Verfahren (double blind) unterzogen.

wdr.univie.ac.at

  

writing fashion: Wiener Digitale Revue – Vol. 6

Call for Abstracts

 

“Do I push clothing between myself and Nothing so I can stay without anyone noticing that I have been here?”

Elfriede Jelinek: Mode

 

In German-speaking regions, a slight trace of reservations against fashion as a superficial, negligible phenomenon still lingers. This position has its origins in thinkers like social scientist Georg Simmel, who, in his text Die Mode (Fashion, 1911) challenges the accelerating pace of his time, or writers like Stefan Zweig, who, playing from the same score sheet, identifies the “dictatorship” of fashion as a huge step towards the “monotonization of the world” in a feuilleton in 1925. The discussion of fashion appears to be a kind of silver bullet to forming a theory of modernity: both are fleeting, accelerated, and subject to constant transformation.

Meanwhile, a diversity of contributions from social and cultural studies to a theory of fashion have managed to supersede these pejorative perspectives. Influences were for instance Roland Barthes’ semiotic work on the ‘translation’ of the phenomenon of fashion into language (see Barthes 2005), or Pierre Bourdieu’s structural homology of ‘haute couture’ and ‘haute culture’, his inclusion of fashion into the analysis of social distinction (see Bourdieu 2020). Barbara Vinken adds valuable accents on a gender theory of fashion as well as the understanding of crossdressing; Elena Esposito summarized the paradoxes of fashion by tracing the interactions between distinction and imitation. 

It is mainly this backdrop against which the Wiener Digitale Revue (wdr.univie.ac.at) addresses the subject of fashion and its literary manifestations in its sixth edition. In the famous passage from “On the Concept of History”, Walter Benjamin saw fashion as a seismograph of society: “Fashion has a flair for the topical, no matter where it stirs in the thickets of long ago; it is a tiger’s leap into the past. This jump, however, takes place in an arena where the ruling class give the commands.” Benjamin’s metaphors stake out the sphere of fashion; in The Arcades Project, he adds another aspect: fashion’s “extraordinary anticipations” that are “the most interesting thing” about it: “Each season brings […] various secret signals of things to come”, you only had to understand how to read those signals.

Fashion has the ability to “overlap” the real world and the imaginary, and to “give the real world a mystical quality, and yet a distinction of reality to imaginary life” (Kraß 2006, 11). Fashion seems unpredictable in the dictates of its whims – and yet it is a game with rules, a differentiated system of signs underlying historical change. Those who master the dress code, who are neither over- nor underdressed, are in the possession of relevant knowledge – and the appropriate attire. 

The phenomenon of fashion appears to be of interest to literature because it concentrates numerous dimensions of life in modernity that mutually refer to each other, including the dimensions of religion, aesthetics, the media, history, economy, psychology, society, ethics, politics, gender etc. (see Kutschbach/Schmieder 2015, 11).

The Wiener Digitale Revue invites analyses of literary production on fashion, of writing fashion – and explicitly also contributions on non-German literature. Our focus is on clothes fashion (as opposed to academic or other fashions). Even though it is impossible to draw clear lines: what matters to us is the limitation to ‘clothing’ (for instance the metaphor of clothing as a “second skin”), to the vestimentary; our edition is not interested in forms or performances of the figure of the author, nor in vestimentary practices in the world of literature. With this edition, we want to help fathom the “epistemological potential of fashion as a crucial figuration of modernity” (Bertschick 2005, 108). – Here we primarily think of the literature of our present. However, if we view fashion as an expression of social, political, artistic currents, literature from many eras may move into focus. 

Possible questions: 

  • “Fashion moves top down“ (Ihering 1881, 115): Is fashion used as an indicator of power, as an analytical category of economic processes?
  • How is crossdressing staged in literature? How does fashion come up in the context of discourses of gender?
  • In which language – following Barthes (1967/2005) and Reinacher (1988) – do we encounter fashion in contemporary literature?
  • Are there contacts between literature and fashion journalism beyond those studied by Venohr (2010)?
  • Can the analysis of fashion in literature be made productive for the study of inter- and trans-mediality – e. g. in the analysis of references between text and image?
  • What is the poetological relevance of questions of fashion (see Degener/Gürtler 2015)?
  • Do literary texts evoke fashion as a political factor in the context of globalization or the ecological turn?

We invite authors to submit abstracts of a maximum of 3000 characters until April 30, 2024 to claudia.duerr@univie.ac.at.

We welcome contributions in German and English. The decision over inclusion is expected until mid-May. 

Submission of contributions: 31.8.2024

Contributions will be subjected to a (double blind) peer review. 

https://wdr.univie.ac.at

 

Literature

Barthes, Roland: The Language of Fashion [1967]. London 2005

Benjamin, Walter: On the Concept of History. In: idem, Illuminations: essays and reflections. New York 2012, pp. 253–264

Bertschik, Julia: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770–1945). Cologne, Weimar 2005

Bourdieu, Pierre: Haute Couture and Haute Culture [1974]. In: Malcolm Barnard (ed.): Fashion Theory. London 2020, pp. 46–51

Degener, Uta und Christa Gürtler: Mode als ästhetische Praxis. Zur poetologischen Relevanz von Kleiderfragen bei Elfriede Gerstl und Elfriede Jelinek. In: Christa Gürtler and Eva Hausbacher (eds): Kleiderfragen. Mode und Kulturwissenschaft. Bielefeld 2015, pp. 97–116

Esposito, Elena: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Frankfurt/M. 2004

Ihering, Rudolf von: Das sociale Motiv der Mode. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, vol. XX (1881), no. 34, pp. 113–115

Elfriede Jelinek: Mode. In: Süddeutsche Zeitung Magazin, 24.3.2000

Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen 2006

Kutschbach, Christine and Falko Schmieder (eds): Von Kopf bis Fuß. Bausteine zu einer Kulturgeschichte der Kleidung. Berlin 2015

Reinacher, Pia: Die Sprache der Kleider im literarischen Text. Untersuchungen zu Gottfried Keller und Robert Walser. Bern 1988

Simmel, Georg: Die Mode [1911]. In: idem: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essais. Berlin 1983, pp. 38–63

Venohr, Dagmar: medium macht mode. Zur Ikonotextualität der Modezeitschrift. Bielefeld 2010

Vinken, Barbara: Ver-Kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen. Wien, Salzburg 2022

Zweig, Stefan: Die Monotonisierung der Welt. In: Neue Freie Presse, 31.1.1925, pp. 1–5

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claudia.duerr@univie.ac.at

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https://wdr.univie.ac.at/

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur und Kulturwissenschaften/Cultural Studies, Stoffe, Motive, Thematologie

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Datum der Veröffentlichung: 18.03.2024
Letzte Änderung: 18.03.2024