CfP/CfA Veranstaltungen

„Klassen.Gefühle.Erzählen“ Tagung am Institut für deutsche und niederländische Philologie der FU Berlin

Beginn
13.06.2024
Ende
14.06.2024
Deadline Abstract
31.01.2024

„Klassen.Gefühle.Erzählen“  Tagung am Institut für deutsche und niederländische Philologie der FU Berlin, 13./14.06.2024

Die queer-feministische Theoretikerin und Literaturwissenschaftlerin bell hooks schreibt in ihrem Buch Die Bedeutung von Klasse: „Heutzutage ist es angesagt, über Themen wie race und Gender zu sprechen; das weniger coole Thema ist Klasse. Es ist das Thema, bei dem wir alle verkrampfen, nervös werden, nicht sicher sind, wo wir stehen.“ (6) Und doch spielen, in einem offenen Verständnis des Begriffs, Klassenzugehörigkeiten für die soziale Verortung des Einzelnen im eigenen Umfeld, für die affektive Verankerung in der gesellschaftlichen Realität, aber auch für individuelles Fühlen und das Erleben des Selbst vielfältige Rollen, die auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur aus unterschiedlichsten Perspektiven erfasst werden. Vom Nischenthema, das bell hooks in ihrem zuerst im Jahr 2000 erschienenen Text diagnostizierte, hat sich das Thema Klasse in den letzten Jahren erkennbar wegentwickelt – man könnte gar argumentieren, dass mit Annie Ernaux 2022 eine Autorin den Literaturnobelpreis erhielt, die als Chronistin von Klassengefühlen zu beschreiben wäre.

Der Begriff der Klasse lässt zunächst – wie in der 2021 erschienenen Anthologie von Texten zu diesen Fragen, hg. von Maria Barankow und Christian Baron – die Ergänzung durch den „Kampf“ erwarten. Klasse und Kampf versammelt Texte, die mit dem Begriffspaar verbundene affektive Modi der Wut und des Hasses ausformulieren, ebenso wie solche der Selbstfindung in einem übergreifenden Klassenbewusstsein, darauf gerichtet, die Verhältnisse zu verändern, womöglich mit revolutionärem Eifer. Solche „Wütende[n] Texte“ (Stumm), die einen Bezug zu Klassenkämpfen haben und sie in einer spezifischen Ästhetik präsentieren, gibt es wie selbstverständlich auch in der Gegenwartsliteratur. Die ‚Kanakster‘ aus Feridun Zaimoglus Kanak Sprak und Koppstoff (1995/1998) gehen ihnen voran, und in anderer Weise wird „Wut“ eingesetzt in einem Kontext, der etwa eine Befreiung vom Patriarchat zum Ziel hat (Mareike Fallwickl, Die Wut, die bleibt, 2022) oder von den Belastungen, die der fossile Kapitalismus der Erde aufbürdet (Raphael Thelen, Wut, 2023). Wie sich in diesen Texten andeutet, überschneiden sich in den affektiven Weltzugängen von Held_innen und Erzählinstanzen unterschiedliche Bereiche – race und Gender erweisen sich nicht, wie man angesichts des Eingangszitats von bell hooks denken könnte, als Gegenpole zu Klasse, sondern sind eng mit ihr verbunden. Es entstehen damit Texte, die intersektional erzählen. Wenn Şeyda Kurt den Hass (2023) „als Kategorie der Ermächtigung, als widerständiges Handwerk“ (15) verhandelt, kommen die genannten Bereiche, in denen es zu affektiven Auseinandersetzungen kommt, erkennbar zusammen.

„Klassen.Gefühle“ sind jedoch bei Weitem nicht nur diejenigen dieses nach außen, auf verändernde Aktivität gerichteten Registers. Klasse verspricht affektive Gemeinschaftsbildung mit denjenigen, die dieselbe Klasse teilen – sie kann aber auch bedeuten, sich selbst ausgeschlossen zu fühlen, insbesondere, wenn man sich als Teil einer nicht hegemonialen Klasse in Konfrontation mit einer solchen erleben muss. Gegenseite des emanzipatorischen Klassenbewusstseins können Diskriminierungsformen des Klassismus sein, die zu gesellschaftlichem Ausschluss und zur Abwertung des anderen führen. In den Texten zeigt sich dies in der Schilderung von Phänomenen der individuellen Verunsicherung beim Wechsel der Klasse, in Situationen der Scham, die die eigene Klassenherkunft verstecken will, oder als Unbehaustsein in einer von anderen Klassenbedingungen geprägten Umgebung. Das geht bis zum Wunsch, unsichtbar zu werden, um sich selbst zu schützen, wie es die Erzählerin in Deniz Ohdes Streulicht (2020) bei der Rückkehr in die proletarisch geprägte Heimat in der Arbeitervorstadt erlebt, die dieses Gefühl skizziert als „[e]ine ängstliche Teilnahmslosigkeit, die bewirken soll, dass man mich übersieht“ (7).

Aus ganz anderer Perspektive wäre an Texte mit Protagonist_innen oder Erzählinstanzen zu denken, die selbstbewusst aus einem hegemonialen Habitus heraus agieren, also gewissermaßen ein ‚Klassenbewusstsein von oben‘ ausleben, das einerseits mit Abwertung anderer, andererseits aber auch mit der Entspanntheit und Nonchalance der Arrivierten einhergehen kann (vgl. z. B. Christian Kracht, Eurotrash, 2021), ja bis zum Ausleben von Klasse als Missachtung von Klassenkonstrukten reicht. So kann man das beispielsweise in Leif Randts Allegro Pastell (2020) im Hinblick auf eine neue ‚kreative Klasse‘ wahrnehmen, die auf den ersten Blick jenseits tradierter Klassenverortungen zu Hause zu sein scheint. Dass hier Figuren entwickelt werden, die sich in ihrer Schablonenhaftigkeit und Glätte jeglicher Einfühlung oder Empathie verweigern, ist auch hinsichtlich der Frage der Klasse ein wichtiges Phänomen: Was zeigt sich, wenn die Figuren etwa bei Randt, aber beispielsweise auch bei Theresa Präauer (Kochen im falschen Jahrhundert, 2023) in ihrer ‚Coolness‘ und Distanziertheit gegenüber den sozialen Bedingungen ihrer Existenz vorgestellt werden? Wie lässt sich das lesen im Hinblick auf die Diagnose einer „Bürgerliche[n] Kälte“ (Kohpeiß), die ganz offenbar im Kontrast steht zu den Wut- und Hass-Narrationen der oben genannten Texte? Wichtig scheint dabei die Erkenntnis, dass auch diese kühlen, abgeklärten Narrationen von einer spezifischen affektiven Ökonomie (Ahmed) zeugen und alles andere als ‚emotionsfrei‘ sind.

Als besonders spannend erweisen sich schließlich potenziell Situationen, die diese Gefühls- und Klassenwelten in Bewegung bringen, infrage stellen oder sich quer zu tradierten Annahmen, Habitus-Vorstellungen oder Einnischungen in gängige affektive Arrangements (Slaby/Mühlhoff) von Klasse verhalten. Ausbruchsversuche aus bestehenden Klassenwelten kommen hier genauso in den Blick wie Versuche, kategoriale Umwertungen vorzunehmen und damit Befreiung zu suchen (wie es etwa von der nonbinären Held_in in Hengameh Yaghoobifarahs Ministerium der Träume, 2021, gesagt werden könnte), oder die Schilderung von Figuren, die (u. a.) am Klassenkonflikt sowohl ökonomisch als auch emotional zugrunde zu gehen scheinen (vgl. die Heldinnen in Anke Stellings Bodentiefe Fenster, 2015, und Schäfchen im Trockenen, 2018).

Für die geplante Tagung am Institut für deutsche und niederländische Philologie der FU Berlin werden Vorträge gesucht, die sich diesem hier nur in Ansätzen skizzierten Feld „Klassen.Gefühle.Erzählen“ in Bezug auf die deutschsprachige Gegenwartsliteratur seit etwa 2000 widmen. Gedacht ist sowohl an Fallstudien zu einzelnen Texten und Autor_innen als auch an übergreifende Überlegungen zu Narrationsformen von Klasse und Gefühl sowie Fragen der Adressierung und kommunikativen Einbettung solcher Texte. Erwünscht sind auch Perspektiven, die die deutschsprachige Gegenwartsliteratur in einem internationalen Kontext verorten und komparatistische Perspektiven aufzeigen. Ein spezifischer theoretischer Hintergrund ist nicht vorgegeben, interessant und vielversprechend erscheint es vielmehr, unterschiedliche Ansätze zwischen Narratologie, Psychologie und Affect Studies, aber auch politischer Ökonomie und Soziologie ins literaturwissenschaftliche Gespräch einzubeziehen.

Die Tagung findet am 13./14. Juni 2024 an der FU Berlin statt. Anreise- und Übernachtungskosten werden im Rahmen des Möglichen übernommen. Die Vorträge sollen im Anschluss in einem Tagungsband publiziert werden.

Wir freuen uns über Vorschläge für Vorträge (ca. 30 Minuten Redezeit) im Umfang von ca. 300 Wörtern, die bis zum 31. Januar 2024 zusammen mit einer kurzen biografischen Information per E-Mail an robert.walter@fu-berlin.de und l.tarbuk@fu-berlin.de eingereicht werden können. Für Rückfragen nutzen Sie gern dieselben Mailadressen.

Organisation: Robert Walter-Jochum, Sophie König, Lara Tarbuk, Jana Weiß

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Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt

Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Lukas Büsse] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu

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robert.walter@fu-berlin.de

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur der Benelux-Länder, Literatur aus Deutschland/Österreich/Schweiz, Gender Studies/Queer Studies, Literatur und Soziologie

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FU Berlin
Datum der Veröffentlichung: 11.12.2023
Letzte Änderung: 11.12.2023