CfP/CfA Veranstaltungen

Journalanthropologie. Wesensbestimmungen des Menschen in der Zeitschriftenliteratur des 19. Jahrhunderts | Göttingen

Beginn
27.02.2025
Ende
01.03.2025
Deadline Abstract
30.06.2024

Zeitschriften als „kleine Archive“ (Frank/Scherer/Podewski 2009) stellen insbesondere seit den erweiterten drucktechnischen Möglichkeiten ab 1830, die eine Verringerung der Kosten und eine Vergrößerung der Reichweiten ebenso ermöglichten wie reiche Bebilderung, einen prominenten Raum der Aushandlung und gesellschaftlichen Selbstverständigung dar. Diese vollzieht sich nicht nur innerhalb von Gruppen gleichen Wissens und geteilter Erfahrung, sondern ist insofern auch stark von Popularisierungsmechanismen geprägt, als vermehrt Fachwissen unmittelbar verbreitet und vereinfacht wird. Jonathan Crary (1996) hat dies am Beispiel der neurophysiologischen Forschung zum menschlichen Sehen gezeigt: Apparate wie das Phenakistiskop, das Stereoskop oder das Zootrop, die zunächst für die klinische Forschung entwickelt wurden, werden unmittelbar zur Jahrmarktattraktion und zum Privatspielzeug – und mit ihnen die Residuen komplexen Wissens über die Subjektivität visueller Wahrnehmung. 

An dieser Durchlässigkeit von Fachwissenskultur, privaten Gebrauchsformen und Populärkulturen haben neben der zweiten Leserevolution und der Ausbildung eines Bildungsbürgertums insbesondere Zeitschriften, Journale und Familienblätter teil, indem sie diesen kulturellen Wandel mit organisieren und zugleich beschleunigen. 

Ein Thema, das sowohl implizit als auch explizit die massiv in die allgemeine Wahrnehmung drängenden Wissensbestände integriert, ist die Frage danach, was der Mensch sei, was ihn von Natur und Technik unterscheidet und wozu der Mensch, „das körperlich ohnmächtige Ding“ (Stifter: Wien und die Wiener, 1844), durch Kultur, sowie Technik- und Mediengebrauch im Stande ist. Ob im Pfennig-Magazin (1/1833) nach einem „weisen Gebrauch […] der Zeit“ gefragt und mit der Handhabung von Zeit auch Charakterbildung betrieben wird, oder ob die Gartenlaube (44/1868) „die Lehre vom Menschen (Anthropologie)“ als „obersten Grundsatz der Lebensweisheit“ beschreibt – Selbsttechniken, Fragen der Bildung und der Erziehung sowie ethnologisches, psychologisches und anatomisches Wissen beziehen das überbordende neue Wissenspanorama auf den Menschen und damit auf realweltliche Bedeutungszusammenhänge zurück. In einer Situation, in der man „nirgends die Lehre von dem ganzen Seyn und Leben des Menschen zu vernehmen Gelegenheit hat“ (Zeitschrift für die Anthropologie, 1/1823), wird die serielle, aber häufig auch fraktale, diskontinuierliche und pluriaktoriale Darstellungsweise periodischer Medien zur nötigen Ersatzform.

Eine solche ‚Journalanthropologie‘ sortiert und legitimiert damit das spezialisierte und quantitativ überfordernde Wissen des 19. Jahrhunderts. Zugleich tritt (anthropologisches) Wissen in Zeitschriften in multimodaler Form auf. Seitenlayout, Text-Bild-Bezüge und „Kontaktpolitiken“ (Podewski 2020, 19) generieren Bedeutungen, die über die Einzelelemente genauso hinausgehen wie über ihre schlichte Addition. 

  • wie gesellschaftliche Grundkonstanten (Arbeit, Vergesellschaftung, Liebe, Leben/Tod, Krankheit, Bildung u.a.) in Bezügen von Abbildungen, literarischen und protojournalistischen Texten sowie Anzeigen, Leserbriefen oder anderen Formen modelliert sind,
  • welche Zweckentwürfe Zeitschriften-Avertissements bieten, d.h. zu welcher Art Mensch sie Leser/innen formen wollen,
  • in welchen konkreten (generischen) Formen Zeitschriftenanthropologie verhandelt wird (Feuilletonroman, Zeitgedichte, Rezension, Szene, Abhandlung, Karikatur etc.),
  • oder wie sich Anthropologie weniger als Postulat, denn als Effekt spezifischer Bild-Text-Konstellationen in konkreten Medienräumen einstellt (Pluriaktorialität).

Der Workshop richtet sich an Nachwuchswissenschaftler/innen in der Promotions- oder PostDoc-Phase und findet vom 27.02.-01.03.2025 an der Universität Göttingen statt. Reise- und Übernachtungskosten werden übernommen. 

Dem Begriff ‚Workshop‘ entsprechend steht die gemeinsame Textarbeit im Mittelpunkt, d.h. jede/r Beiträger/in stellt zwei Ausgaben einer Zeitschrift zur Verfügung. Anstelle eines Vortrags wird die gemeinsame Analyse der Beispiele durch eine knappe Einführung (ca. 5 Min.) mit Informationen zum eigenen Forschungsinteresse und zum Kontext der Zeitschrift sowie Vorschläge für Diskussionspunkte eingeleitet. Das Material wird unmittelbar nach Festlegung des Programms vorab an alle Teilnehmenden versandt und ist zum Workshop vorzubereiten.

 

Vorschläge für Gegenstände respektive Leitfragen sind bis zum 30.06.2024 zu richten an: 

journalanthropologie@uni-goettingen.de

Contact Information

Daniel Ehrmann, Institut für Germanistik, Fachbereich Neuere deutsche Literatur, Universität Wien

Stefan Tetzlaff, Seminar für Deutsche Philologie, Abteilung Neuere deutsche Literatur, Universität Göttingen

Contact Email

journalanthropologie@uni-goettingen.de

Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Forschungsgebiete

Literatur und Verlagswesen/Buchhandel, Literatur und Anthropologie/Ethnologie, Nichtfiktionale Literatur allgemein, Stoffe, Motive, Thematologie, Literatur des 19. Jahrhunderts

Links

Ansprechpartner

Einrichtungen

Georg-August-Universität Göttingen
Datum der Veröffentlichung: 07.06.2024
Letzte Änderung: 07.06.2024