CfP/CfA event (On site)
Perspektiven des Wasteocene. Ökologische Gewalt, soziale Ungleichheiten, narrative Widerstände, Bamberg
Event date:
18.03.2026-20.03.2026
Abstract submission deadline:
15.09.2025
Perspektiven des Wasteocene
Ökologische Gewalt, soziale Ungleichheiten, narrative Widerstände
Workshop
18. bis 20. März 2026
Institut für Germanistik
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Müll ist eines der problematischsten Symptome sozialökologischer Krisen der Gegenwart. Von wachsenden Elektroschrott-Deponien im Globalen Süden über Plastikinseln in den Ozeanen bis hin zu den verborgenen Nachlässen nuklearer Prozesse: Die Effekte materiellen Aussortierens, Wegwerfens oder Hinterlassens prägen nicht nur Haushalte, Städte oder Landschaften, sondern auch politische und ökonomische Verhältnisse. In einer Welt, in der Müllberge größer und zahlreicher werden und toxische Hinterlassenschaften ganze Gemeinschaften belasten, ist die Frage nach dem wissenschaftlichen Umgang mit Müll dringlicher denn je.
Mit dem Konzept des Wasteocene hat Marco Armiero eine ebenso zeitdiagnostisch pointierte wie epistemologisch kritische Perspektive auf Müll und Vermüllen als Symptome und Mittel sozialökologischer Verflechtungen vorgeschlagen. Während Anthropozän-Diskurse gewöhnlich ein homogenes Menschheitskollektiv als Verursacher ökologischer Verwerfungen adressieren, betont das Wasteocene, dass Menschen nicht alle gleichermaßen für Umweltzerstörung und soziale Ausgrenzung verantwortlich sind. Konzerne, Kolonialmächte, Eliten etc. tragen einen disproportional großen Anteil an der Vermüllung des Planeten. Das Wasteocene lenkt den Blick deshalb auf konkrete Machtverhältnisse, kapitalistische Produktionsregime und imperiale Politiken, die mit Müll und Vermüllen verbunden sind. Das Konzept hat den Anspruch, soziale und ökologische Ungleichheiten sichtbar zu machen, und fordert eine Neubewertung von Ansprüchen auf Umweltgerechtigkeit und Möglichkeiten politischen Widerstands.
Der geplante Workshop setzt an dieser Stelle an. Er positioniert sich im Feld der Discard oder Waste Studies und möchte diese über den Bezug auf das Wasteocene zu einem Dialog mit den Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaften einladen. Das Konzept bietet den Vorteil, die materiell-sozialen und die narrativ-medialen Aspekte von Müll und Vermüllen stärker als bisher zusammenzudenken und zugleich über Anforderungen und Erwartungen an ein sich im Wandel befindliches Verständnis wissenschaftlicher Zugriffe auf Müll und Vermüllen zu diskutieren. Das Wasteocene ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine diskursive Herausforderung, und zwar nicht zuletzt für seine wissenschaftliche Behandlung. Armieros Konzept soll gleichwohl nicht schlicht vorausgesetzt werden, sondern als heuristischer, mithin in seiner theoretischen, empirischen und wissenschaftspolitischen Tragweite selbst zu befragender Ausgangspunkt für die Verknüpfung von Problemkonstellationen divergierender Forschungsfelder der Discard oder Waste Studies dienen. So sehr das Wasteocene eine zeitdiagnostische Evidenz beansprucht, Umweltzerstörung, toxische Lebensverhältnisse und strukturelle Abwertung analytisch beschreiben zu können, so wenig ist geklärt, was Müll und Vermüllen in unterschiedlichen Disziplinen bedeuten, bedeuten können oder sollen. Der Workshop nähert sich Perspektiven des Wasteocene über drei Problemfelder:
1) Ökologische Gewalt
Das Wasteocene richtet den Blick auf die sozialökologischen Folgen der systematischen Belastung bestimmter Regionen mit Müll, Giften und toxischer Infrastruktur. Diese Gewalt ist nicht kontingent, sondern Effekt sozialstruktureller Asymmetrien, die bestimmte Gegenden und Gemeinschaften unter Verweis auf Wachstum, Fortschritt und Profit als ,verfügbar‘ oder ,entsorgbar‘ markieren: Wie manifestiert sich ökologische Gewalt aber in Landschaften, Alltagspraktiken oder Erzählungen? Welche konkreten Infrastrukturen (jenseits von Schlagworten wie Urbanisierung, Industrialisierung, Kolonialismus etc.) führten und führen zur Konzentration ökologischer Lasten in bestimmten Räumen oder sozialen Konstellationen? Und wie werden durch Müll und Vermüllen erzeugte Umweltschäden ,normalisiert‘ oder ,unsichtbar‘ gemacht? Inwiefern partizipieren Literatur und andere Medien an mit Müll geknüpfter ökologischer Gewalt?
2) Soziale Ungleichheiten
Ökologische Krisen sind mit den Effekten von Kapitalismus, sozialer Ausgrenzung und Kolonialismus verknüpft. Müll und Vermüllen beruhen auf der strukturellen Entwertung von Leben und Lebensräumen und wurden und werden ungleich verteilt: Marginalisierte Gruppen – etwa im Globalen Süden, in postindustriellen Regionen oder in gentrifizierten urbanen Räumen – tragen einen überproportional großen Anteil an den Lasten von Vermüllung: Welche konkreten Gruppen tragen die ökologischen Kosten von Wachstum, Konsum und Entsorgung? Und wer profitiert von der ,Abfallmoderne‘? Wie werden Menschen, Orte oder Körper als ,wegwerfbar‘ markiert und medial imaginiert? Wie sind Klassenverhältnisse, ethnische Zuschreibungen oder koloniale Machtgefüge in gegenwärtige Müllungleichheiten eingeschrieben? Wie greifen literarische Texte die mit Müll verbundenen Ungleichheiten auf?
3) Narrative Widerstände
Marginalisierte Gruppen können Gegen-Erzählungen entwickeln, die nicht nur anklagen, sondern Handlungsspielräume eröffnen. Mit diesen narrativen Widerständen kann eine Politisierung einhergehen. Gegen die Logik des Entsorgtwerdens stellen sie das Recht, zu sprechen, zu deuten und zu überleben. Nicht zuletzt Literatur und andere Medien können Geschichten, Bilder und Stimmen, die Erfahrungen von Müll und Vermüllen formulieren, sichtbar machen und alternative Zukünfte denkbar werden lassen: Wie erzählen marginalisierte Gruppen von Müll und Vermüllen und welche alternativen Deutungsmuster entstehen daraus? Welche Rolle spielen künstlerische, literarische oder mediale Formen nicht nur in der Repräsentation und Reflexion, sondern auch im Widerstand gegen das Wasteocene? Worin unterscheiden sich Narrative des Anthropozäns von solchen des Wasteocene? Inwiefern können Erzählungen als Werkzeuge eines kollektiven Empowerments in Sachen Müll fungieren? Welche Übersetzungsprozesse sind aber auch nötig, um ein auf das Vermüllen bezogenes Wissen ,von unten‘ sichtbar und wirksam zu machen? Wie und von wem werden Proteste und Widerstände gegen Umweltungerechtigkeit delegitimiert, kriminalisiert oder marginalisiert? Inwiefern prägen Müll und Vermüllen wissenschaftliche Perspektiven?
Willkommen sind Beiträge, die anhand dieser oder verwandter Fragen Aspekte des Mülls oder des Vermüllens in Fallstudien untersuchen. Vorschläge für einen 25-minütigen Vortrag werden in Form eines Abstracts (max. 350 Wörter und CV) bis zum 15. September 2025 bei der unten angegebenen E-Mail-Adresse erbeten. Der Workshop versteht sich als Auftakt für einen längerfristigen Austausch, in dem die ökologischen, politischen und literarisch-kulturellen Herausforderungen von Müll und Vermüllen interdisziplinär untersucht werden sollen. Eine Publikation der Beiträge ist vorgesehen. Die Übernahme von Reise- und Übernachtungskosten wird angestrebt.
Konzept und Organisation:
David-Christopher Assmann
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Institut für Germanistik
An der Universität 5
96047 Bamberg
david-christopher.assmann@uni-bamberg.de
Fields of research
Venue
Bamberg, GermanyOrganization
University of Bamberg
Proposed citation:
"Perspektiven des Wasteocene. Ökologische Gewalt, soziale Ungleichheiten, narrative Widerstände, Bamberg" (CfP/CfA event), avldigital.de, veröffentlicht am: 08.07.2025. https://avldigital.de/en/networking/information/call-for-papers/erspektiven-des-wasteocene-okologische-gewalt-soziale-ungleichheiten-narrative-widerstande-bamberg