Wissen und Ganzheit: Das 18. Jahrhundert und sein Nachleben
Eine Kooperation des Deutschen Seminars der Universität Zürich mit der Professur für Literatur-und Kulturwissenschaften an der Universität Luzern und dem Lehrstuhl für Medizingeschichte der Universität Zürich
Konzeption & Organisation: Sophie Witt, Laure Spaltenstein, Leander Diener, Marie Louise Herzfeld-Schild
«Der Körper ist nicht wieder zurückzuverwandeln in den Leib. Er bleibt die Leiche, auch wenn er noch so sehr ertüchtigt wird», so klingt der bekannte Abgesang der Dialektik der Aufklärung auf den Körper und auf unsere Möglichkeit, diesen (und: mit diesem) zu denken. Adorno und Horkheimer sind nur ein Beispiel für jene Narrative, die dem 18. Jahrhundert die (politisch katastrophalen) Folgen einer Ausdifferenzierung der Wissenssphären zuschreiben, die bis heute in ‹Natur› und ‹Kultur› sowie in Natur- und Geisteswissenschaften trennt. Der Resistenz der ‹Trennungsgeschichte› zum Trotz aber arbeitet sich bereits das 18. Jahrhundert in unterschiedlichen wissensgeschichtlichen Formationen kritisch und produktiv an der Descartes bis heute immer wieder zugeschriebenen Trennung in res extensa und res cogitans ab und entwickelt Konzepte von ‹Ganzheit›, die Natur-und Kulturbegriffe zu konstellieren suchen: etwa in den psychophysischen Konzepten der verschiedenen ‹ästhetischen Materialismen› oder (literarischen) Anthropologien, im Zusammenschluss der Künste mit der Physiologie und der Medizin u.v.m. Die geplante Tagung fragt aus verschiedenen disziplinären Perspektiven nach einem solchen Wissen von Ganzheit.
Zum einen schauen wir von der Warte der Nachträglichkeit auf die wissenschaftlichen Diskurse und Künste des 18. Jahrhunderts und fragen, an welchem KörperDenken Musik, Tanz und Theater, aber auch Literatur partizipieren. Denn gerade in den Künsten des 18. Jahrhunderts taucht dieses vielfach selbst als ganzheitliches auf – und macht so jenem angenommenen Urverlust des Körpers einen Strich durch die Rechnung. Zum anderen fragen wir nach den Einsatzfeldern dieser Suche nach dem Ganzen und nach dem Nachleben des 18. Jahrhunderts in den Wissenschaften und den Künsten. Zu fragen wäre etwa nach den Motivationen der Rede von den ‹zwei Kulturen›, nach deren diagnostischem Potential und nach dem daraus resultierenden holistischen ‹Versöhnungsbegehren›, das besonders im 20. Jahrhundert virulent wird – z.B. in den Avantgarden (als kritisch durchgestrichenes), oder affirmativ in der Phänomenologie und im Projekt der Psychosomatik, die explizit auf die Anthropologien des 18. Jahrhunderts rekurriert.
Tagungsprogramm
Mittwoch, 30. Oktober
Universität Zürich, RAA-Gebäude, Aula, Rämistr. 59
14.00–14.30 Begrüßung und Einführung
Anthropologie/Darstellung
14.30–15.15 Carsten Zelle (Bochum): ‹Ganzheitswissen› in der Diätetik um 1750, 1800 und 1850
15.15–16.00 Arne Stollberg (Berlin): «Der Mensch, man glaube mir, ist ein musikalisches Instrument». Die Literalisierung einer Metapher seit dem späten 17. Jahrhundert und ihre kompositionsgeschichtlichen Konsequenzen
16.30–17.15 Patrick Hohlweck (Berlin): Naturell und Mitteilung (Walch, Gottsched)
17.15–18.00 Beate Hochholdinger-Reiterer (Bern): Menschendarstellung als Phantasma von Ganzheit
19.30–20.45 Katja Münker (Berlin): Im-Gehen-Verstehen / Lecture Performance
Donnerstag, 31. Oktober
Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1
Verkörperung /Resonanz
09.30–10.15 Frauke Berndt (Zürich): Rhythmus und Verkörperung
10.15–11.00 Marion Schmaus (Marburg): Zauberflöte & Co. Das Zusammenspiel von Märchenoper und Musiktherapie seit dem 18. Jahrhundert
11.30–12.15 Caroline Welsh (Berlin): Resonanz und Stimmung in anthropologischen Modellen der Selbst- und Weltwahrnehmung um 1800 und heute
Natur/Kultur
14.00–14.45 Hans-Christian von Herrmann (Berlin): Die wirkende Natur. Wissenschaftskritik und Naturforschung in Goethes «Faust I»
14.45–15.30 Lea Bühlmann (Fribourg): Weisheiten des Körpers. Epistemologien der Umgebung in den Lebenswissenschaften der 1920er Jahre
Psyche/Soma
16.00–16.45 Leander Diener (Zürich): «Unzertrennlichkeit des Leibes und der Seele». Psyche
und Soma in der Geschichte der Physiologie seit dem 18. Jahrhundert
16.45–17.30 Oliver Falk (Zürich): Impulse für ein neues Denken? Gustav von Bergmanns funktionelle Pathologie und die psychosomatische Medizin
17.30–18.15 Sophie Witt (Zürich): Psychosoma und Theaterwissen
Freitag, 1. November
Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1
Bios/Politik
09.30–10.15 Thorben Päthe (Zürich): «Es ist der Geist, der sich den Körper baut.» Zur politisch-institutionellen Korporalität des ‹deutschen Geistes›
10.15–11.00 Matthias Dreyer (Rostock): Beobachte das Stolpern. Theater-Avantgarde und Reformpädagogik
11.30–12.15 Antonia Eder (Karlsruhe): Über Wachen und Schlafen. Müdigkeit und das Wissen vom ganzen Menschen
Zweite Ordnung/Metaform
14.00–14.45 Hartmut von Sass (Zürich): Dualismen zweiter Ordnung, oder: Richard Rorty über ironische Coolness
14.45–15.30 Boris Previšić (Luzern): Akustische Wahrnehmung als Metaform des Denkens – Diderots Rêve de D’Alembert
15.30–16.00 Schlussdiskussion und Verabschiedung
Infos: https://www.ds.uzh.ch/de/projekte/psychosomatik/veranstaltungen.html, sophie.witt@ds.uzh.ch