Literatur messen? Das Archiv im Zeitalter der empirischen Literaturwissenschaft (Internationaler Master-Sommerkurs 2019)
Leitung: Dr. Christine A. Knoop, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main
Bewerbungsschluss: 30. April 2019
Inwiefern verändern empirische Zugänge zur Literaturwissenschaft die Rolle von Literaturarchiven in der philologischen Arbeit? Welche Möglichkeiten ergeben sich für Archive, diese Neuentwicklung mitzugestalten und zu prägen, und welchen Anforderungen müssen sie dafür gerecht werden? Diese und weitere Fragen bilden die Grundlage für den diesjährigen Master-Sommerkurs am DLA.
Als die Gruppe um Siegfried J. Schmidt in den 1970er und 80er Jahren die Notwendigkeit einer empirischen Wende in der Literaturwissenschaft postulierte und eine empirische Konzeption von Literaturwissenschaft entwarf, in der die Analyse von Leseprozessen zum wichtigsten Anliegen der gesamten Disziplin erklärt wurde, reagierte die Fachcommunity mit wenig Begeisterung – allzu pauschal hatte die Gruppe die traditionell nicht-empirisch arbeitende Literaturwissenschaft abgeurteilt; sie hatte die epistemologischen Implikationen von quantitativer Wissensproduktion missachtet; und ihre Forderungen waren praktisch schwer umsetzbar, was ihr rasch den Ruf einer reinen ‚Ankündigerwissenschaft‘ ohne glaubwürdige Resultate einbrachte.
In der jüngeren Zeit jedoch haben sich zwei stetig wachsende Stränge der Literaturwissenschaft herausgebildet, die tatsächlich quantitativ arbeiten und doch für sich veranschlagen, die traditionelle Literaturwissenschaft nicht zu ersetzen, sondern zu ergänzen und zu bereichern: die heutige empirische Literaturwissenschaft an der Schnittstelle von Linguistik, Literaturwissenschaft, Neurowissenschaft und Psychologie und die Computerphilologie im Bereich der Digital Humanities.
Die heutige empirische Literaturwissenschaft geht, ganz ähnlich wie Schmidts, von der Erkenntnis aus, dass Literatur nicht außerhalb und unabhängig von Individuen existiert, sondern im Akt des Lesens mental konstruiert wird, und dass die Erstellung dieser mentalen Konstruktion die zentrale Voraussetzung für jedwede Kategorisierung und Evaluation von Literatur ist, d.h. auch für alle Praktiken der Literaturwissenschaft selbst. Dabei bedient sie sich naturwissenschaftlicher Methoden wie der Messung von Gehirnaktivität, Blickbewegung und Herzrate, aber auch der gezielten Befragung von Leserinnen und Lesern, und erfasst so Strukturen auf der Ebene des Textes als Repräsentation. Die Computerphilologie dagegen fußt auf der Erkenntnis, dass Aussagen über Natur und Entwicklung literarischer Konventionen, Korpora und Autorenstile nur dann möglich sind, wenn wir Werkzeuge entwickeln, die es erlauben, große Mengen Text systematisch zu erfassen und kleinteilig zu vergleichen. Sie bedient sich der computergestützten Analyse von Sprachstrukturen auf der Ebene des Textes als Zeichen.
Gegenstand des Internationalen Master-Sommerkurses ist es einerseits theoretische Grundannahmen, Voraussetzungen und Ziele dieser beiden empirischen Stränge der Literaturwissenschaft in den Blick zu nehmen und andererseits zu diskutieren, welche Rolle Literaturarchive und die klassische Archivarbeit in beiden Kontexten einnehmen können und sollten. Zu diesem Zweck ist der Kurs in drei Teile gegliedert: einen Lektüreteil, in dem wir uns theoretisches Wissen über Annahmen, Ziele und Grenzen empirischer Ansätze aneignen, einen Diskussionsteil, in dem wir mögliche zukünftige Richtungen, Chancen und Risiken für das Archiv im Zeitalter empirischer Literaturwissenschaft erörtern, und einen praktischen Teil, in dem den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gelegenheit gegeben wird, im Archiv zu beispielhaften empirischen Fragestellungen Material zu sammeln und im Anschluss ihre Auswahl und die Motivation dafür im Kurs vorzustellen.
Bewerbung:
Bewerben können sich Master-Studierende und Staatsexamenskandidaten sowie Promotionsstudierende in der Planungsphase aus den literatur- und kulturwissenschaftlichen Fächern. Vorgesehen sind Plätze für bis zu 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Bewerbungen von Kandidatinnen und Kandidaten, die sich für das Marbacher Master-Stipendium interessieren, sind willkommen (www.dla-marbach.de/forschung/das-marbacher-stipendienprogramm/aktuelle -stipendienausschreibungen).
Erstattet werden die Reisekosten (Pauschale), ebenso werden Kosten für Unterkunft (Collegienhaus) und Verpflegung übernommen. Es wird eine Teilnahmegebühr von 50 EUR erhoben.
Die Bewerbung über unser Bewerbungsportal (https://stipendienportal.suhrkamp-forschungskolleg.de/form-mastersommerkurs2019/) besteht aus einem Anschreiben, in dem die Motivation zur Teilnahme dargelegt wird, einem Lebenslauf sowie den letzten Zeugnissen und Leistungsnachweisen. Bewerbungsschluss ist Dienstag, der 30. April 2019 (Eingangsdatum). Die Auswahl trifft eine Kommission des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Ein Rechtsanspruch auf Teilnahme besteht nicht.
Organisatorische Rückfragen bitte an: forschung@dla-marbach.de
Kontakt
Dr. Christine A. Knoop – Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik – E-Mail: christine.knoop@ae.mpg.de
Dr. Anna Kinder – Kommissarische Leiterin des Forschungsreferats – Deutsches Literaturarchiv Marbach
Sekretariat: Birgit Wollgarten – Tel.: 07144 - 848 - 175 – E-Mail: forschung@dla-marbach.de