I. Universalität-Allgemeingültigkeit und Unveränderlichkeit in Raum und Zeit? 1. ,,Universalität" der Menschenrechte bedeutet nicht, dass die Menschenrechte in Raum und Zeit unveränderlich wären. Vielmehr sind sie ein Produkt der Geschichte. Jahreszahlen wie 1776, 1789 und 1948 markieren die wichtigsten Zäsuren. 2. Die Inhalte dessen, was als „Menschenrecht" geschützt wird, sind einer dynamischen Entwicklung unterworfen. II. Ideengeschichtliche Traditionslinien 1. Für die Entwicklung der Menschenrechte auf der Ebene der Nationalstaaten gibt es ein Narrativ, das von der Magna Charta über die Bill of Rights und die Denker der Aufklärung bis zur Französischen Revolution reicht und in den Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts mündet, der wiederum Folie für die Ausgestaltung umfassender Menschenrechtskataloge in den Verfassungen der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts ist. 2. Abstrahiert man von den konkreten Rechtsverbürgungen und greift auf die dahinter stehenden Werte, insbesondere auf die Würde des Menschen, zurück, lassen sich die Traditionslinien noch weiter zurück zur Antike und zur christlich-jüdischen Überlieferung ziehen. 3. Für den Menschenrechtsschutz auf internationaler Ebene sind neben theoretischen Schriften wie denjenigen von Francisco de Vitoria internationale Verträge zum Schutz des Individuums, so etwa die Verträge zur Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei, Verträge zum humanitären Völkerrecht und auch die Kodifizierungsbemühungen in der Folge des Ersten Weltkriegs, zum einen zum Minderheitenschutz, zum anderen zum Schutz der sozialen Rechte relevant. III. Der „Ruck" vom unbeschränkt souveränen Staat zum Aufbau einer Menschenrechtsordnung mit universellem Geltungsanspruch 1. Menschenrechtsschutz auf internationaler Ebene ist untrennbar mit einer mehr oder weniger gewichtigen Einschränkung der staatlichen Souveränität verbunden. 2. Die entsprechende Staatskonzeption beginnt sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durchzusetzen; die Jahre von 1945 bis 1950 sind als „Gründerjahre" anzusehen. IV Prämissen eines universellen Menschenrechtsschutzes 1. Die unveräußerlichen Rechte sind das erste Grundaxiom der universellen Menschenrechtsidee. Rechte werden nicht zuerkannt, nicht erworben, sondern sie sind jedem von Geburt an mit auf den Weg gegeben. 2. Dieser im 18. Jahrhundert entwickelte Ansatz bleibt nicht unwidersprochen. Bereits Zeitgenossen wie Jeremy Bentham wenden sich aus grundsätzlichen Erwägungen dagegen. Abgelehnt wird die Idee auch von aus nicht-europäischen Kulturkreisen zur Ausarbeitung der UN-Charta hinzugezogenen Denkern wie Mahatma Gandhi und Chung-Suh Lo. 3. Diese Differenzen verweisen auf ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis vom Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft, insbesondere mit Blick auf die den Rechten des Individuums vorausliegenden Pflichten. 4. Die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Prämissen – einerseits angeborene, unveräußerliche Rechte, andererseits vom Staat zuerkannte Rechte oder Rechte, die von Gegenleistungen abhängig sind und erworben werden müssen - sind an den verschiedenen Kodifizierungen der Menschenrechte abzulesen. 5. Die entsprechenden Weichenstellungen sind für die Praxis des Menschenrechtsschutzes der Gegenwart von zentraler Bedeutung, wie sich etwa am Schutz derer, die des Terrorismus verdächtigt werden, zeigt. 6. Ein zweites Grundaxiom des Menschenrechtsschutzes ist die Gleichheit. 7. Problem des Gleichheitssatzes ist seine scheinbare „semantische Leere". 8. Auch zum Gleichheitskonzept finden sich radikale Gegenkonzepte. 9. Auf internationaler Ebene spiegelt sich die Gleichheitsidee in der Regel in Diskriminierungsverboten wider. Auch dabei sind die Grundkonzeptionen strittig. Insbesondere der Ansatz der positiven Diskriminierung kann Ungleichbehandlung nicht nur rechtfertigen, sondern sogar fordern. V Allgemeinverbindlichkeitsanspruch 1. Kodifizierungen der Menschenrechte sind möglich, da bei formelartig gefassten Rechtsverbürgungen Einigkeit zu erzielen ist. Nichtsdestotrotz bestehen bei konkreten Entscheidungen zur Durchsetzung der Rechte fundamentale Unterschiede; dies zeigt sich insbesondere an der Gerichtspraxis von nationalen und internationalen Gerichten. 2. Unter dem Stichwort „kultureller Relativismus" wird der Allgemeinverbindlichkeitsanspruch der menschenrechtlichen Verbürgungen in Frage gestellt. Alternativkonzepte zur Idee der Universalität der Menschenrechte können Kriterien wie „Region/ Geschichte/ Tradition" oder „Religion" als identitätsstiftend heranziehen. 3. Der kulturelle Relativismus steht im Widerspruch zur völkerrechtlichen Bindung der Mehrzahl der Staaten, die allerdings aufgrund von Vorbehalten zu relativieren ist. Auch haben besonders bevölkerungsreiche Staaten wie China und besonders bedeutende Staaten wie die USA eine Reihe wichtiger Menschenrechtsverträge nicht ratifiziert. VI. Aktuelle Gefährdungen l. In der Gegenwart werden universelle Menschenrechtsverbürgungen ebenso wie Autorität und Legitimität der zu ihrer Durchsetzung eingesetzten Institutionen zunehmend in Frage gestellt. Dazu hat eine Reihe von Faktoren beigetragen: a) Der Menschenrechtsschutz hat sich mit der Schaffung von Gerichten und einer Vielzahl von internationalen Komitees institutionalisiert und bürokratisiert und bleibt damit bei der Institutionen- und Bürokratiekritik nicht außen vor. b) Die Menschenrechtsrechtsprechung ist in sich widersprüchlich und macht sich angreifbar, wenn sie einerseits universell gültige Werte einfordert und andererseits diese mit immer neuen Interpretationen relativiert. c) Die Inanspruchnahme der Menschenrechtsrechtsprechung von Lobbygruppen kann zu einer ungewollten Politisierung führen. d) Nicht umgesetzte Urteile werden als ein Zeichen von Autoritätsverlust und Schwäche gewertet. e) Anders als in den „Gründerjahren" des internationalen Menschenrechtsschutzes wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder die uneingeschränkte Souveränität des Nationalstaates betont und die Verlagerung von Kontrollentscheidungen auf dem Staat vorgeordnete Institutionen aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. 2. Der Kritik gilt es offen entgegenzutreten. Die Universalität der Menschenrechte ist nicht etwas für alle Zeit Gegebenes, sondern muss immer neu begründet werden.
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