ger: In den zwanziger Jahren wird der Sport zu einem kulturellen Massenphänomen. Alle sporten sie jetzt, stellt Siegfried Kracauer 1927 fest, und: Seit sie alle sporten, möchten sie erfahren warum. Die Dichter und Philosophen, Soziologen und Anthropologen eröffnen eine essayistische Debatte, die im Sport alles und sein Gegenteil erkennt. Ein erst in Ansätzen semantisiertes Kulturphänomen, steht der Sport Projektionen jedweder Herkunft zur Verfügung. Von der Forschung wenig beachtet, entsteht im Rahmen der Sporteuphorie der zwanziger Jahre aber auch ein neues literarisches Genre: der Sportroman. Die Texte dieses Genres, die bald zu den prominenten Lesestoffen ihrer Zeit gehören, behandeln den Sport nicht essayistisch-ernst, sondern narrativ-unterhaltsam. Ihre auf den ersten Blick banalen Erzählungen handeln von triumphalen Siegen und demütigenden Niederlagen, von Kraft und Leistung, von Liebesglück und Liebesleid. Unter Titeln wie Tim der Torwart, Um den großen Preis oder Endspurt berichten sie von ehrgeizigen jungen Männern und ihren schönen Frauen, von den Mühen harten Trainings und der Freude am sportlichen Spiel, vom Glück, das der Erfolg mit sich bringt, aber auch von den Anfeindungen, denen der Erfolgreiche sich ausgesetzt sieht. Allerdings kleiden die Romane nicht bloß herkömmliche Narrative trivialer Literatur in ein neues (modernes) Gewand. Wer in der Zwischenkriegszeit vom Sport erzählt, thematisiert auch all das, wofür der Sport nun einsteht und arbeitet mit an seiner Semantisierung. Die Banalität der literarischen Sporterzählungen täuscht daher: Im Zeichen des Sports schaltet sich der Sportroman in kulturelle Problemstellungen seiner Epoche ein. Dies stellt die vorliegende Dissertation dar: Sie untersucht die mannigfaltigen Beziehungen, die zwischen den Romanen und anderen Schreib- und Erzählweisen ihrer Zeit bestehen. Vier Text-Kontext-Interaktionen vollziehe ich nach: das Verhältnis der Sportromane zur psychologischen Literatur über den Willen, zur fiktionalen Literatur über die Neue Frau, zur Ratgeberliteratur der Lebensreformbewegung und zu literarischen und filmischen Repräsentationen faschistischer Idealkörper. Die These lautet, dass die Betrachtung dieser Interaktionen nicht nur ein neues Verständnis der Romane ermöglicht, sondern dass sie ebenso signifikante kulturelle Sinnzusammenhänge sichtbar macht, Relationen zwischen Textsorten und Diskursen, deren Berührungspunkte sonst leicht übersehen werden. Textanalyse und Kulturanalyse gehen also eng miteinander einher; und dies entspricht nicht zuletzt den Forderungen einer kulturwissenschaftlich informierten Literaturforschung, wie sie sich als zentrales Paradigma der Germanistik spätestens seit dem Jahr 2000 durchgesetzt hat.
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