Unter der Leitfrage, auf welche Weise sich fiktive Wirklichkeit konstituiert, wird Robert Musils Hauptwerk in dieser Untersuchung über seine erzähltechnische Feinstruktur erschlossen. Die Arbeit ist damit zugleich als Beitrag zu Narrativik und Rezeptionsästhetik angelegt: Sie untersucht Grundbedingungen des Fiktiven, die in Musils Roman in besonderer Weise erkennbar werden, da er seine erzählerischen Mittel - im Dialog mit dem Leser - durchgehend reflektiert. An den Nahtstellen der Fiktion - Zeit, Raum, Geschehen - ansetzend, beleuchtet die Analyse im Detail vor allem irritierende Übergänge zwischen verschiedenen Erzählmodi, flächenhafte Aussparungen, Illusionsdementierungen und eine spürbare Doppelbödigkeit, ja Selbstbezüglichkeit der sprachlichen Mittel, die zugleich auf dahinter stehende Wirkungsabsichten befragt werden. Erkennbar wird dabei, wie sich eine je individuelle Lektürewelt vor den Augen des Lesers explizit konstituiert, um gleichzeitig einen Reflexionsprozess in Gang zu setzen: über Grundbedingungen fiktiver Realität mit ihren Übergängen zur 'wirklichen' Wirklichkeit - all dies freilich nicht im theoretisch-rationalen Durchdenken, sondern in jener Sinnfälligkeit, wie sie der Literatur mit ihren sprachlichen Freiräumen eigen ist. Die vielfältigen Appelle an die Mitarbeit des Lesers leisten nicht zuletzt eine Neubestimmung seiner Funktion und der des Autors selbst: Die im Roman geprägte Formel 'Leben, wie man liest' wird so zur Anleitung, aus den Vertextungen und Auflösungserscheinungen punktuell und transitorisch herauszufinden zu individueller Wirklichkeit.
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