Das 19. Jahrhundert gilt immer noch als Säkulum der Nationenbildung. Die vorliegende diskurshistorische Studie erklärt nun das Jahrhundert der Nationen als eine Geschichte der Europa-Inszenierungen. Sie weist nach, dass sich die Vorstellungen der Nation erst aus dem Europa-Diskurs heraus entwickelt haben, und stellt die lebendigen Debatten vor, in denen Europa von den Zeitgenossen als politische Idee, als interkultureller Erfahrungsraum, als prospektives sozio-kulturelles Modell und als kulturelle Praxis wahrgenommen wird. Der Verfasser hat ein umfangreiches Korpus an überwiegend deutschsprachigen, politischen, historiographischen, publizistischen, juristischen, theologischen und vor allem belletristischen Texten recherchiert. Anhand dieser Schriften wird rekonstruiert, wie sich infolge der revolutionären Umbrüche und politischen Krisen seit dem Sturz Napoleons das Bewusstsein einer europäischen Identität zunächst ausbreitet, aufgrund von politischen, kulturellen, technischen und geschichtsphilosophischen Entwicklungen wandelt und mit der Reichsgründung schließlich marginalisiert wird.Insbesondere die Literaten entwickeln eine bis heute gebräuchliche Europa-Rhetorik. Bekannte Autoren wie Heine, Laube, Rückert, Schlegel oder Fürst Pückler-Muskau, aber auch Modeliteraten wie Zschokke, Willkomm oder Storch sowie vergessene Autoren wie Adolph von Schaden haben ihre Vorstellungen vom Kontinent in Geschichten inszeniert: Sie reichen von den Vereinigten Staaten von Europa bis hin zum europäischen Einheitsstaat, von einer offenen, kosmopolitischen Gesellschaftsordnung bis hin zum Wunsch nach einer uneinnehmbaren europäischen Festung, von den europaskeptischen Geschichtspessimisten bis hin zu den messianischen Sehnsüchten nach einer Kolonialmacht.
|