Als Goethe in seiner monumentalen Farbenlehre (1810) versuchte, Newtons Theorie des Lichts und der Farben anzugreifen, setzte er eine Methode ein, die er als Vermannigfachung der Erfahrungen bezeichnete: Er variierte verschiedene Parameter der newtonischen Experimente, um neuen Spielraum für Alternativen zur Theorie Newtons zu gewinnen. Dabei erzielte er durchaus Erfolge. U.a. entdeckte er das Komplement zum newtonischen Spektrum (das aussieht wie dessen Farbnegativ und durch Vertauschung der Rollen von Licht und Finsternis entsteht). Ingo Nussbaumer hat Goethes Methode kongenial fortgeführt. Dabei hat er sechs weitere Farbspektren entdeckt. Sie entstehen, wenn man anstelle des Hell/Dunkel-Kontrasts (in Newtons und Goethes Experimenten) mit Paaren von Komplementärfarben arbeitet. Die neuen Farbspektren sehen genauso differenziert aus wie Newtons und Goethes Spektrum; doch anders als diese enthalten sie die unbunten "Farben" Schwarz und Weiss. Die vielfältigen Ordnungsbeziehungen und Symmetrien, die Ingo Nussbaumer in der Farbenwelt der insgesamt acht Spektren ausgemacht hat, verhelfen uns vielleicht zu einem tieferen Verständnis der Prinzipien menschlicher Farbwahrnehmung. Abgesehen davon haben sie einen hohen ästhetischen Reiz. Und sie regen dazu an, über kontrafaktische Verläufe der Wissenschaftsgeschichte zu spekulieren: Wie gut hätte sich Newtons Theorie des Lichts und der Farben in den Jahren nach ihrer Veröffentlichung (1672) durchsetzen können, wenn damals das newtonische Spektrum zusammen mit seinen sieben Gegenstücken bekannt geworden und daher nicht das einzige Spektrum gewesen wäre, mit dem die Theorie hätte fertigwerden müssen? When Goethe, in his monumental Farbenlehre (1810), tried to attack Newton’s theory of light and color, he used a method that he called ‘multiplying the experiences’. He varied different parameters of the Newtonian experiments in order to create space for alternatives to Newton’s theory. He discovered, among other things, the complement to the Newtonian spectrum, which looks like its color negative and is created by exchanging the roles of light and darkness. Ingo Nussbaumer ingeniously extended Goethe’s method to discover six additional color spectra. They appear when pairs of complementary colors are used instead of the light/dark contrasts in Newton and Goethe’s experiments. The new color spectra look just as differentiated as Newton and Goethe’s spectra, but unlike those spectra, contain the uncolored ‘colors’ black and white. The relations and symmetries that Ingo Nussbaumer revealed in the world of colors may help us develop a deeper understanding of the principles of human color perception. In any case, they have a large aesthetic appeal. And they inspire speculations about counterfactual developments in the history of science: Would Newton’s theory of light and color have been so readily accepted if Nussbaumer’s new color spectra were known three centuries ago? Not Reviewed
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