Die zwischen 1900 und 1920 neu entstandenen Schweizer Kirchenbauten verdanken ihre Entstehung vorwiegend dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden konfessionellen Durchmischung. Die reformierte Kirche förderte ein verstärktes Gemeinschaftswesen und begünstigte deshalb die Etablierung der Programme für zentralisierte, chorlose Grundrisse. Der katholische Schweizer Kirchenbau war durch den Einsiedler Pater Albert Kuhn geprägt, der sich im Vergleich zu modernismuskritischen Strömungen als progressiver Förderer des Heimatstils, barockisierender Tendenzen und zentralisierter Grundrisse erwies. Die Reformarchitektur wird als Architekturepoche zwischen Historismus und Neuem Bauen anhand vertiefter Darstellung in drei stilistische Tendenzen aufgeteilt, nämlich in eine monumentale Tendenz, eine Tendenz zum Heimatstil sowie in eine klassizisierende Tendenz. Die wichtigste Grundlage der Reformarchitektur und ihrer Stiltendenzen bildete die Kritik am Historismus, dessen pejorativ betrachteten Eigenschaften wie Prunk, Eklektizismus, Technisierung, Akademisierung, Äusserlichkeit und schablonierter Dekorativismus überwunden werden sollten. Die monumentale Tendenz äussert sich in der Bevorzugung schwerer, monolithisch erscheinender Baumassen mit pathetischen Bogenmotiven. Die Tendenz zum Heimatstil wird aufgegliedert in eine stärker von der englischen Bewegung ausgehende reformerische Tendenz und in eine auf dem Interesse an der Volkskunst basierende vernakuläre Tendenz. Die klassizisierende Tendenz wird unterteilt in Reformbarock, Reformklassizismus und Neoklassizismus. Zentrale Anliegen waren die Reaktion auf die übertriebene Formenvielfalt der Jahrhundertwende und die städtebauliche Maxime eines einheitlich-verbindlichen Formenrepertoires, wie es um 1800, gleichsam vor dem Historismus, noch geherrscht hatte. Das Wesen der Reformarchitektur wäre unzureichend erklärt, würde nicht ihrer bewussten Inszenierung sowohl im Aussenraum als auch im Sinne einer Charakterisierung des Bauwerks vertiefte Aufmerksamkeit geschenkt. Die angelsächsische Bewegung und Camillo Sittes Schrift zum Städtebau von 1891 bewirkten, dass der Gebäudeentwurf zunehmend auch dessen konkrete Nahumgebung oder deren Gestaltung umfasste. Den Bauwerken wurde zudem durch gezielt organische, dadurch auch einfühlsame und physiognomische Gestaltung individuelles Charisma verliehen. Formale Konsistenz, Kontrastierungen und Übersteigerungen waren weitere Mittel, die Architektur künstlerisch zu heben und ihr zugleich eine volkstümliche, leicht verständliche und charakteristische Ausstrahlung zu verleihen. Die Berücksichtigung regionaler Bautraditionen im Sinne einer Bezugnahme auf die kulturelle Heimat spielte für die Reformarchitektur ebenfalls eine zentrale Rolle. Prägend waren seit der Jahrhundertwende das Interesse an der ländlichen Volkskultur und die daran anknüpfende Heimatschutzbewegung, welche auch die Reize alter Dorfkirchen wieder diskutierte und damit deren prinzipiellen Vorbildcharakter für Neubauten begünstigte. Die heimisch-bodenständige Erscheinung neuer Kirchenbauten wurde sodann vor allem durch die Applikation regionaltraditioneller Dach- und Turmtypen nachdrücklich und auch mit sozialen Hintergedanken angestrebt. Dächer, Türme, aber auch Innenräume vorwiegend reformierter Landkirchen erhielten häufig eine geradezu wohnliche Ausstrahlung, indem vom bürgerlichen Wohnhausbau nebst den Bauformen auch praktische Einrichtungen wie Schornsteine, Kachelöfen und bisweilen ganze Erschliessungssysteme übernommen wurden. Diese Gesamtheit erinnerte illusorisch, aber in Übereinstimmungen mit zeitgenössischen Kunsttheorien der Assoziations- und Gefühlsästhetik an das Familienleben, das in der Reformepoche wieder als erstrebenswert galt und auch für das kirchliche Gemeinschaftswesen als beispielhaftes Symbol angesehen wurde.
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