Abstract: Der Artikel ist frei verfügbar; anstelle eines Abstract wird hier zunächst der Anfang wiedergegeben:
Die Frage ist nicht gerade neu. „Wie über 68 schreiben?“ stand schon vor sechs Jahren über einem Aufsatz von Wolfgang Kraushaar (Kraushaar 2000). Ihm ging es vor allem um die notwendige Balance zwischen der gegenstandsnahen Erinnerung des Beteiligten und der objektivierenden Distanz des Historikers, aber er konstatierte im gleichen Band, daß geschichtspolitische Positionen immer noch und eher wachsend die historische Forschung durchziehen. Über den zweiten Punkt will ich hier sprechen.
Während der Tagung, von der dieser Band berichtet, war es zu einer heftigen Diskussion über „68 und die Germanistik“ gekommen, ausgelöst durch einen anspruchsvoll vorgetragenen Beitrag, der die „Studentenbewegung“ und ihre Bedeutung für die Literaturwissenschaft so verkürzt darstellte, wie ich das hier nicht erwartet hätte nach den vielen gründlichen Arbeiten, die inzwischen zu diesem Thema erschienen sind. Unter den vielen gründlichen Arbeiten, die inzwischen zu diesem Thema erschienen sind. Unter den Tagungsmitgliedern setzte sich rasch eine komplexe Sicht durch, aber mir hatte sich einmal mehr gezeigt, wie umstritten auch heute noch Ablauf und Bedeutung der damaligen Ereignisse sind, auch unter Fachkollegen, und nicht nur unter denen, die in dieser Zeit auf der einen oder der anderen Seite engagiert waren. Für das kommende Jahr stehen weitere Veröffentlichungen zu diesem Thema an; die notwendigen Diskussionen darüber sollten anders geführt werden als beim jüngsten Medienhype um die Begnadigung von RAF-Mitgliedern. So kann es vielleicht nützlich sein, auch auf dem speziellen Gebiet der Germanistik, mit dem begrenzten Fokus eigener Erfahrungen und im Rückgriff auf die Forschungen anderer, daran zu erinnern, welche Fehler tunlichst vermieden werden sollten, wenn es zu einer sinnvollen Verständigung über „68“ kommen soll.
Das Folgende ist der Versuch, meinen spontanen Siegener Diskussionsbeitrag in verallgemeinerter Form zu Papier zu bringen, indem ich drei dort sichtbar gewordene, M.E. exemplarische, „Fehlblicke auf 68“ benenne und ihnen meine Sicht entgegenstelle. Auch die ist, wie anders, parteilich. Ich hatte mich 1967 ff. als frisch gebackener Privatdozent, später als Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft aktiv an der Universitätsreformbewegung beteiligt. Mein Engagement war – soweit es hier zur Debatte steht und ich mir der Sache bewußt bin – von drei Motiven bestimmt: ich suchte als Literaturwissenschaftler nach Möglichkeiten, den traditionellen kunsttheoretischen Idealismus der Germanistik, der mir in Freiburg exemplarisch begegnet war, zu durchbrechen und literarische Werke als Teil einer umfassenderen gesellschaftlichen Praxis zu verstehen; ich wollte als Hochschullehrer zu einer radikalen Demokratisierung der Universität beitragen und partnerschaftlichere Formen des Unterrichts praktizieren, als sie um mich herum üblich waren; und ich wollte meine Berufsarbeit verbinden mit meinem politischen Engagement als Mitglied einer Generation, die die NS-Zeit noch bewußt erlebt und die Zeit nach 1945 als einen stecken gebliebenen Aufbruch zu einer befreiten Gesellschaft erfahren hatte. Mit allen drei Motiven war ich damals bekanntlich nicht allein; alle drei gehörten für mich zusammen; alle drei waren utopische Ziele, deren damalige Formulierungen ich heute nicht mehr verwenden würde; alle drei halte ich indes auch heute noch für unverzichtbar. – Zu den Protagonisten der Protestbewegung habe ich nicht gehört. Ich arbeite in Freiburg, nicht in Berlin oder Frankfurt, den Zentren der Auseinandersetzungen. Und an der Universität war ich als 1967 frisch habilitierter Dozent weder Mittelbauer noch richtiger „Prof.“ (Herrmann 2005). Das brachte eine gewisse Randständigkeit mit sich, in der ich mich nicht unwohl gefühlt habe und mich assoziieren konnte, wie ich wollte. Auch deshalb wird im Folgenden die Breite und Widersprüchlichkeit der „Bewegung“ mehr im Vordergrund stehen als bei denen, die einer der organisierten Studentengruppen angehörten, sich als Vordenker profiliert hatten oder als Ordinarien Ziel des Protests waren.
So dient dieser Essay auch der Selbstvergewisserung. In der Meinung, daß die intellektuelle, die hochschulpolitische und didaktische sowie die allgemeinpolitische Funktion von Wissenschaft nicht getrennt werden können, werde ich allgemeine Bemerkungen über die Studentenbewegung, spezielle Bemerkungen über das Fach und meine eigenen Erfahrungen in ihm sehr eng führen. Daß sich dabei Verkürzungen ergeben, die hier ohne explizite methodische Absicherung bleiben müssen, nehme ich in Kauf und bitte andererseits um Geduld, wenn gelegentlich ein längerer Umweg in die Allgemeingeschichte das Verständnis für die Fachgeschichte verbessern soll
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