Vielleicht sind es im Kern Kapitalströme, die heute jeden Wandel der Welt bestimmen – nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern auch mit Blick auf soziale, kulturelle oder ökologische Entwicklungen. Grenzüberschreitende Investitionen und Handel scheinen alle Daseinsbereiche zu prägen. Angetrieben durch die zunehmende Globalisierung der Märkte ist der Import und Export von Kapital – sei es in Form von Geld, von immateriellen und materiellen Gütern oder Menschen – zu einem allgegenwärtigen System geworden, zur unhintergehbaren Annahme einer Notwendigkeit oder eines Selbstzwecks. Die vorliegende Publikation dokumentiert die Ausstellung KAPITALSTRÖMUNG in der Kunsthalle Tübingen (11. März bis 11. Juni 2017). Die beiden Teile des Titels bieten Bedeutungen, die in unterschiedlicher Weise auf die Werke der beteiligten Künstler bezogen werden können. So meint „Kapital“ nicht nur Produktionsmittel sowie Real-, Geld- und Humankapital in Form von Waren, Wertpapieren und Arbeitskräften, sondern bringt auch die berühmten kapitalismuskritischen Theorien des Philosophen und Ökonomen Karl Marx ins Spiel, die er 1867 unter dem Titel „Das Kapital“ formulierte. Und „Strömung“ kann einerseits als scheinbar unweigerliche, quasi natürliche Bewegung von Kapital verstanden werden und anderseits als ein kapitalistischer Trend oder eine organisierte Ideologie. In den gezeigten Werken geht es um Bilder von Kapitalströmen und Kapitalismus: Künstlerisch kommentierende oder abstrahierende Bilder vom Wert des Geldes, zum Beispiel am Finanzwirtschaftszentrum Frankfurt oder im Steuerparadies Kaiman-Inseln, Bilder von kapitalistisch gedachten Menschenströmen, etwa aus Touristen, Flüchtlingen oder Shopping-Mall-Besuchern, Bilder von der Eigendynamik des Reichtums, von „Luxemburg Leaks“ und „Panama Papers“, aber auch von Befreiungsmomenten. Die zum Teil eigens angefertigten Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Videos und Installationen betonen dabei die Anschauung: Sie kreisen eher um Metaphern, um symbolische Gesten und Indizien, als um die Untersuchung konkreter Fälle. Die beteiligten Künstler nähern sich ihren Themen eher assoziativ, als über journalistische Recherche oder politische Positionierung. Einige von ihnen sind augenscheinlich von Karl Marx‘ Theorien zu Kapital, Arbeit und Ware inspiriert und suchen nach künstlerischen Übersetzungen dieser Theorien in die Gegenwart, also nach symptomatischen Bildern.
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