ger: Diese Dissertationsarbeit verfolgt das Ziel, das bisher wenig erforschte Gebiet des Spracherhalts in mehrsprachigen Menschen aus der dynamisch-systemischen Sicht des Dynamischen Modells der Mehrsprachigkeit (Herdina & Jessner, 2002) zu ergründen. Das DMM modelliert die Sprachentwicklung von mehrsprachigen psycholinguistischen Systemen im Ablauf der Zeit. Es postuliert, dass die Stabilität der Sprachsysteme vom Spracherhalt abhängt, welcher seinerseits vom Multilingualismus-Faktor maßgeblich beeinflusst wird. Die Schlüsselkomponenten des M-Faktors sind das multilinguale Bewusstsein und der erweiterte mehrsprachige Monitor. Diese qualitative Studie analysiert die Komplexität des Spracherwerbs, des Sprachenmanagements und des Spracherhalts in erfahrenen mehrsprachigen Sprachverwender*innen. Es wurden hierfür 18 Teilnehmer*innen an internationalen polyglot events befragt. Das Forschungsumfeld, die internationalen Veranstaltungsreihen für Polyglotte, wird detailliert vorgestellt, da dieses bisher noch nicht wissenschaftlich beschrieben worden ist. Die Teilnehmer*innen (m = 14; w = 4) wurden an der Polyglot Conference 2016 in Thessaloniki (Griechenland) und am Polyglot Gathering 2017 in Bratislava (Slowakei) rekrutiert. Sie stammen aus neun verschiedenen Ländern (Frankreich, Griechenland, Italien, Mexiko, Russland, Schweden, den USA, dem Vereinigten Königreich und Weißrussland). Sie haben mindestens sechs Sprachsysteme (LS > 6 bis LS > 50) gelernt, die mindestens drei verschiedenen Sprachfamilien angehören. An der Studie teilgenommen haben sowohl bekannte Polyglotte wie die Organisatoren der Polyglot Conference, Richard Simcott, Alex Rawlings und Alexander Argüelles und polyglotte Konferenzredner*innen wie Helen Abadzi und Luca Lampariello als auch andere Redner*innen und Konferenzbesucher*innen. Die Daten wurden anhand eines semi-strukturierten Experteninterviews, das über Skype oder persönlich vor Ort aufgezeichnet wurde, gesammelt. Ergänzt wurden sie mit einem Fragebogen zur Sprachbiographie der Befragten, welcher alle Sprachsysteme der interviewten Personen berücksichtigte. Die generierten qualitativen Daten wurden nach einem allgemeinen thematischen Ansatz analysiert. Es fanden sich zahlreiche Belege für den beträchtlichen Spracherhaltaufwand der Teilnehmer*innen. Ebenso wurde eine große Anzahl an Spracherhaltstrategien ausgemacht und klassifiziert. Um dem Phänomen des Sprachabbaus entgegenzuwirken, investieren die Befragten sehr viel Zeit und Energie in den Erhalt der Homöostase ihres psycholinguistischen Systems. Eine Vielzahl an Beispielen belegt das erhöhte multilinguale Bewusstsein und den erhöhten mehrsprachigen Monitor der Teilnehmer*innen. Beide Komponenten des M-Faktors erlauben es erfahrenen Sprachverwender*innen sowohl die begrenzten Zeit- und Energieressourcen als auch die verwendeten Sprachlern-, Sprachmanagement- und Spracherhaltstrategien erfolgreich zu orchestrieren. Die Autorin dieser Dissertation identifiziert die geschickte Orchestrierung der Strategien (smart strategy orchestration) als eine emergente Eigenschaft in erfahrenen Sprachlerner*innen und damit verbunden einen erhöhten Strategieeffekt (enhanced strategy effect), der sich sowohl auf den Spracherwerb und als auch auf den Spracherhalt auswirkt. Im Spracherhalt scheinen, ähnlich wie im Spracherwerb, affektive, psychologische, metakognitive Faktoren und individuelle Eigenschaften eine relevante Rolle zu spielen. In dieser Dissertation wird auch der inkonsequente Gebrauch der Begriffe polyglot, hyperpolyglot und multilingual in der Forschung und vonseiten der Teilnehmer*innen diskutiert. Die Studie ergibt, dass eine Differenzierung zwischen polyglot und hyperpolyglot nicht notwendig zu sein scheint. Das Kriterium für eine Unterscheidung zwischen polyglot und multilingual hingegen scheint nicht die Anzahl der gelernten Sprachen oder das Sprachniveau in den einzelnen Sprachsystemen zu sein, sondern affektive Eigenschaften wie die Liebe für Sprachen und persönliche Einstellungen wie die Aufgeschlossenheit für andere Sprachen und Kulturen sowie Motivation, Sprachlernautonomie, Sprachlernerfahrung und individuelle Charaktereigenschaften wie Beharrlichkeit und Selbstdisziplin. Ein Blick in die Vergangenheit stellt im theoretischen Teil sowohl einige in Vergessenheit geratene Vielsprachler*innen als auch das Werk der ungarischen Polyglottin Kató Lomb (1909-2003) vor. Letzteres wird aus der Perspektive des Forschungsfokus der Studie beleuchtet. Der bedeutendste Polyglot aller Zeiten, Kardinal Giuseppe Mezzofanti (1774-1849), seine Sprachbiographie und die Diskussion um sein Sprachenrepertoire dienen als Ausgangspunkt und Vergleichsbasis für mehrere behandelte Aspekte der zeitgenössischen Vielsprachler*innen. Ein Blick in die Zukunft wird am Ende des empirischen Teils in Hinsicht auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse in der Mehrsprachigkeitsforschung und im Bereich des institutionellen Lehrens und Lernens angeboten. eng: This dissertation thesis pursues to shed light on the hitherto unexplored field of language maintenance in multilinguals from the holistic and Complex Dynamic System Theory perspective of the Dynamic Model of Multilingualism (Herdina & Jessner, 2002). The DMM predicts the development of the multilingual psycholinguistic system over time and postulates that system stability depends on language maintenance. The M-factor, whose key components are multilingual awareness and the enhanced multilingual monitor, is assumed to play a prominent role in this regard. This investigation analyses the complexity of the learning, management, and maintenance of multiple language systems in experienced adult learners. Interviewees were all participants in the new, still unexplored phenomenon of international, large-scale polyglot event series. Respondents were recruited at the Polyglot Conference 2016 in Thessaloniki (Greece) and at the Polyglot Gathering 2017 in Bratislava (Slovakia). Participants (n = 18; m = 14; f = 4) come from nine different countries (Belarus, France, Greece, Italy, Mexico, Sweden, Russia, the United Kingdom, and the USA) and have learned LS > 6 to LS > 50 that belong to at least three different language families. Renowned polyglots such as the organizers of the Polyglot Conference Richard Simcott, Alex Rawlings, and Alexander Argüelles and conference speakers such as Helen Abadzi and Luca Lampariello agreed to take part in the current investigation as well as other speakers and simple attendees. Data was collected with two instruments: a questionnaire on the participants’ language biography and a semi-structured interview conducted via Skype or face to face. All the language systems explored by the participants were taken into consideration. The resulting qualitative data was analysed by a generic thematic approach. Ample evidence was found for the considerable language maintenance effort of polyglots and a great number of language maintenance strategies were identified and classified. To counter phenomena of negative language growth, respondents invest large amount of time and energy into the maintenance of homeostasis. Numerous proofs were collected which show that the level of multilingual awareness and the enhanced multilingual monitor of the participants enable experienced multilinguals to orchestrate both resources and strategies smartly. The researcher identifies the smart strategy orchestration (SSO) as an emergent property in experienced multilinguals and the consequent effect both on language acquisition and maintenance as enhanced strategy effect (ESE). In language maintenance, similarly to language acquisition, affective, psychological, metacognitive factors, and individual features were found to play a relevant role. The present dissertation, moreover, discusses the inconsistent terminology use of the terms polyglot, hyperpolyglot, and multilingual both in academia and by polyglots themselves. While a distinction between polyglot and hyperpolyglot may not be necessary, the study reveals that a distinction should be drawn between polyglot and multilingual on the ground of affective features such as the love for languages, on attitudes such as open-mindedness towards other languages and cultures, on motivation, learner autonomy, language experience, and on individual character traits such as perseverance and self-discipline rather than on the amount of language systems or language proficiency. An outlook on future research in the field of multilingualism and the transferability of findings to institutional language instruction contexts conclude the investigation. Outcomes of the current study are confronted with information on historical polyglots described in the theoretical part of this thesis. A selection of now forgotten female polyglots is given to discuss the issue of gender and polyglottism. The linguistic biography and the work of the Hungarian polyglot Kató Lomb (1909 – 2003) are investigated in the light of the research focus of this thesis. The analysis centres around issues on terminology, language maintenance, the age factor and language talent. The most eminent historical polyglot, Cardinal Giuseppe Mezzofanti (1774 – 1849), his language biography and the issue around his linguistic repertoire, were the starting point of this thesis and are the point of reference of issues around terminology for modern-day polyglots.
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