ger: In der Dissertation Der Rückgriff auf historische Ereignisse als Mittel zur Wiederbelebung der Erinnerung in den Werken der nicaraguanischen AutorInnen Gioconda Belli, Sergio Ramírez und Ernesto Cardenal geht es um die aktive Rolle, die Literatur in der Erinnerungskultur übernehmen kann. Der Rückgriff auf literaturwissenschaftliche Kategorien und Modelle zeigt dabei, wie literarische Werke die Erinnerung an verschiedenste Ereignisse aus der Geschichte Nicaraguas lebendig halten. Den Anfang der Arbeit bilden biographische Angaben zu den drei AutorInnen, die aus künstlerischen Familien der oberen Mittelschicht Nicaraguas stammen. Ernesto Cardenal, Sergio Ramírez und Gioconda Belli zeichnen sich seit ihrem frühen Erwachsenenalter durch großes politisches Engagement aus, das sie nach dem Sturz Somozas beibehalten und in der jungen sandinistischen Regierung fortführen. Aufgrund ihres Einsatzes für den Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), ihrer Tätigkeiten in der sandinistischen Regierung und ihrer kritischen Distanz zum aktuellen Sandinismus sind die Werke Cardenals, Ramírez' und Bellis prädestiniert für gedächtnistheoretische Untersuchungen. Der Überblick über die gesellschaftsgeschichtlichen Kontexte von 1920 bis 2010 beinhaltet unter anderem eine detaillierte historische Skizze, in der die geschichtlichen Hintergründe zu den analysierten Werken beleuchtet werden. Dieser historische Abriss führt von Augusto César Sandino über die Somoza-Diktatur bis hin zum Ende der längsten Diktatur Lateinamerikas und zur postrevolutionären Zeit der Sandinisten. Ein Kapitel über die jüngere nicaraguanische Literatur zeigt, dass die untersuchten Werke trotz des Schattendaseins, welches die Literatur generell in Nicaragua führt, im Land selbst rezipiert werden. Die Gattungsdiskussion, in der die Memoiren und zwei unterschiedliche Romanformen definiert werden, gibt einen Überblick über die analysierten Werke, die der Dissertation zugrunde liegen. Der anschließende Vergleich der Memoiren und Romane in ästhetischer Hinsicht veranschaulicht, warum die ausgewählten Texte für die Leserschaft interessant sind, woraus sie ihre Spannung beziehen und warum sie als schön gelten können. Um eine tragfähige und methodologische Basis für den nachfolgenden Interpretationsteil zu schaffen, wird auf die bekanntesten Gedächtnistheoretiker wie Maurice Halbwachs, Aby Warburg, Pierre Nora, Jan und Aleida Assmann in einem Kapitel Bezug genommen. Das Verständnis der Verwobenheit von Erinnerungskultur und Literatur sowie ein Modell der deutschen Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Astrid Erll verdeutlichen in der Folge den Zusammenhang von kollektivem Gedächtnis, kollektiven Erinnerungsakten und Erinnerungskultur. Durch die Rhetorik des kollektiven Gedächtnisses können laut Erll literarische Texte als Medien des kollektiven Gedächtnisses inszeniert werden. Die vier Modi dieser Rhetorik - kommunikativer, kultureller, antagonistischer und reflexiver Modus -weisen dabei unterschiedliche erinnerungskulturelle Funktionspotentiale auf. In der Analyse wird sichtbar, dass die Memoiren aufgrund ihrer autodiegetischen Erzählperspektive Gedächtnistexte darstellen, in denen der reflexive Modus akzentuiert wird, was in erster Linie zur Gedächtnisreflexion und in zweiter zur Gedächtnisbildung beiträgt. Durch einen dominant kulturellen Modus zeichnen sich die Romane Margarita, está linda la mar und Waslala aus, in denen kulturelles Gedächtnis inszeniert wird. Sombras, nada más und La mujer habitada weisen hingegen einen stark ausgeprägten kommunikativen Modus auf, und zu ihren zentralen Funktionen gehört es, kommunikatives Gedächtnis durch literarische Darstellungen der 70er Jahre in Nicaragua zu inszenieren. In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass Literatur ein Medium sowohl des kulturellen als auch des kommunikativen Gedächtnisses ist und dass sie einen der wirkungsvollsten Versuche darstellt, dem Vergessen Einhalt zu gebieten. eng: The doctoral research study The recourse to historical occurences as an instrument for revivification of the memory in the works of the Nicaraguan authors Gioconda Belli, Sergio Ramírez and Ernesto Cardenal concerns the active role which literature can play in commemorative culture. The recourse to categories and models in the field of literary science shows how literary works keep alive several occurences of Nicaraguan history. At the beginning oft the dissertation there are biographical indications of the three authors who come from artistic families of the upper middle-class of Nicaragua. Ernesto Cardenal, Sergio Ramírez and Gioconda Belli are characterized since their early adulthood by a high political engagement which they maintain after Somoza's downthrow and pursue in the young government of the Sandinistas. Due to their organisational commitment for the Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), their functions in the Sandinista government and their critical distance to the current Sandinismo, the works of Cardenal, Ramírez and Belli are predestinated for theoretical analyses concerning memory. The survey of contexts in regard to Nicaraguan society and history ranging from 1920 to 2010 includes, among other things, a detailed historical sketch where the political background of the analysed memoirs and novels is illustrated. This historical synopsis leads from Augusto César Sandino to the end of the longest Latin-American dictatorship and to the post revolutionary period of the Sandinistas. A chapter about the younger Nicaraguan literature shows that the analysed works are read by Nicaraguans in spite of the dearth of literature in this country. The chapter where the selected memoirs and novels are discussed and defined gives a survey of the works. The following comparison of memoirs and novels in respect of esthetical criteria exemplifies why the selected texts are interesting for the readers, why they can be considered as beautiful and where their suspense comes from. As it is important to create a sustainable and methodological basis for the successive part of the practical application, the most famous theoreticians of the concept of collective memory are presented: Maurice Halbwachs, Aby Warburg, Jan and Aleida Assmann. Both the understanding of the relatedness of memory culture and literature as well as a model of Astrid Erll (German scientist for literary and cultural science) illustrate the connection of collective memory, collective acts of memory and memory culture. According to Astrid Erll, due to the rhetoric of the collective memory, literary texts can be seen as media of the collective memory. The four modes of this rhetoric - communicative, cultural, antagonistic and reflexive mode - feature different functions in cultural memory. The analysis shows that the memoirs are texts where the reflexive mode is accented because of their autodiegetic point of view. This fact contributes primarily to reflection of memory and secondly to creation of memory. The novels Margarita, está linda la mar and Waslala, where cultural memory is put on stage, are distinguished by a dominant cultural mode. Sombras, nada más and La mujer habitada manifest the communicative mode in high gear, and so they put on stage communicative memory using literary versions of the seventies in Nicaragua. The present thesis shows that literature is a medium of the cultural as well as the communicative memory. It marks one of the most effective attempts to curb waters of forgetfullness.
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