Optimierung des Selbst
Logiken der Optimierung durchdringen sämtliche Sozialsphären der gegenwärtigen Gesellschaft. Sie sind Leitbild und Orientierungsmuster in der Gestaltung des individuellen Lebens. Ob gesunde Ernährung, Fitnessstudio, Schönheitsoperationen, Achtsamkeitsübung oder Schlaf-App – das Streben nach Selbstverbesserung hat einen festen Platz in der Alltagskultur und umfasst ein breites Spektrum an Praktiken und Techniken. Was dabei jeweils unter einem Optimierungsprozess verstanden wird, welche Grenzen ihm gesetzt und welche Ziele mit ihm verbunden sind, wird kontrovers diskutiert. Das Thema der Selbstoptimierung provoziert sowohl im wissenschaftlichen wie auch im gesellschaftlichen Diskurs im selben Maße affirmierende wie kritische Positionen. Kritiker*innen lehnen das Optimierungsstreben als Teil einer neoliberalen Effizienzsteigerung ab, wohingegen Befürworter*innen es als Ausdruck persönlicher Autonomie deuten.
Die zweite Tagung des interdisziplinären Mainzer Graduiertennachwuchskolleg „Ethnographien des Selbst in der Gegenwart“ als Kooperation der Fächer Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Systematische Theologie und Sozialethik und Kulturanthropologie/Volkskunde möchte zum einen an diese Problemstellungen anknüpfen. Zum anderen ist es ihr Ziel, den gegenwärtigen Diskurs im Horizont verschiedener kultureller sowie historischer Konzeptualisierungen der Selbstoptimierung vergleichend in den Blick zu nehmen, um auf diese Weise eine breitere Perspektive auf den Gegenstandsbereich der Optimierung zu eröffnen.
Im interdisziplinären Austausch fragt sie nach den diskursiven Voraussetzungen der Bewertung von Selbstoptimierung und ihren Vermittlungsformen. Auf welchen Werten und Normen basieren Optimierungsvorstellungen? Welche Konsequenzen, Risiken und Chancen gehen mit den Selbstoptimierungsbestrebungen einher? Erfordern diese Prozesse Reaktionsmuster? Welche Darstellungsstrategien zeigen sich in der kommunikativen Vermittlung von Optimierung?
Die Tagung umfasst Impulsvorträge, Diskussionen und Workshops und findet am 4. und 5. März 2021 digital über Zoom statt.
Interessierte Gasthörer*innen sind herzlich zur Teilnahme eingeladen. Anmeldungen bitte unter: https://www.ethnographien.uni-mainz.de/tagungen/optimierung-des-selbst/
Programm
Donnerstag, 04.03.
09.00 Uhr
Loreen Dalski, Kirsten Flöter und Annabelle Schülein
Eröffnung & thematische Einführung
09.40 Uhr
Stefan Groth (Kulturanthropologie/Empirische Kulturwissenschaft)
Selbstoptimierung, Sinnbiografien und Antizipation
10.20 Uhr
Johanna Kästel (Rechtswissenschaften)
Selbstoptimierung und Recht – Eine leitbildbasierte Stichprobe
11.00 Uhr
30 Minuten Kaffeepause
11.30 Uhr
Jörg Scheller (Kunstwissenschaften)
Apotheose der Krämerseele. Was die Selbstoptimierung des Quantified Self mit Karl Marx, göttlicher Wissenschaft und gotischen Kathedralen zu tun hat
12.10 Uhr
Eberhard Wolff (Kulturanthropologie/Empirische Kulturwissenschaft)
Der Superlativ als Stolperstein. Ein Plädoyer gegen ‘(Selbst-)Optimierung’ als Analysemodell
12.50 Uhr
„Virtuelle Kaffeepause“
13.05 Uhr
1 ½ Stunden Mittagspause
14.35 Uhr
Loreen Dalski (Germanistik)
„Lerne geschmeidig zu sein wie die Mollusken“. Selbstoptimierung in Yoko Tawadas "Sendbo-o-te"
15.15 Uhr
Workshop in Kleingruppen
16.15 Uhr
30 Minuten Kaffeepause
16.45 Uhr
Lisa Keil (Germanistik)
Testosteron zwischen Optimierungs- und Geschlechtsindiz – Diskurse um das Hormon von Caster Semenya bis Sasha Marianna Salzmann
17. 25 Uhr
Johanna Tönsing (Germanistik)
Ungeahnte Perspektiven auf die Subjektivierungsfigur der Selbstoptimierung am Beispiel von Bodo Kirchhoffs "Body-Building" und Elfriede Jelineks "Ein Sportstück"
Freitag, 05.03.
09.00 Uhr
Hermann Diebel-Fischer (Theologie)
Selbstoptimierung als Technik des Enhancements
09.40 Uhr
Kirsten Flöter (Kulturanthropologie/Empirische Kulturwissenschaft)
"Ich habe mir das Prinzip, das dem Stein inhärent ist, zu Nutze gemacht, um für mich weiterzukommen.” Der Gebrauch von Heilsteinen zwischen Selbstoptimierung und therapeutischer Alltagspraktik
10.20 Uhr
Annabelle Schülein (Kulturanthropologie/Empirische Kulturwissenschaft)
Veganer Lebensstil zwischen Selbst- und Weltoptimierung.
Über die kulturelle Komplexität des Verzichts
11.00 Uhr
30 Minuten Kaffeepause
11.30 Uhr
Martina Wagner-Egelhaaf (Germanistik)
Stil. Lebensstil/Schreibstil
12.10 Uhr
Workshop in Kleingruppen
12.50 Uhr
1 ½ Stunden Mittagspause
14.20 Uhr
Silke Meyer (Kulturanthropologie/Empirische Kulturwissenschaft)
Narrative Identitätskonstruktionen / migrant narratives
15.00 Uhr
Kathrin Lohse (Germanistik)
Benjamin von Stuckrad-Barres "Panikherz" – ein Anti-Optimierungsroman?
15.40 Uhr
30 Minuten Kaffeepause
16.10 Uhr
Ralph Köhnen (Germanistik)
Selbstoptimierung: Eine kritische Diskursgeschichte des Tagebuchs
16.50 Uhr
Linda Leskau (Germanistik)
Disability Vlogs. Kollektive Arbeit am Selbst?
17.30 Uhr
Abschlussdiskussion