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Literary Class Studies – Soziale Herkünfte in der Literatur/Wissenschaft, Münster

Beginning
20.02.2024
End
21.02.2024

„Die Klassenfrage ist zurück in der Literatur“ – diese journalistische Einschätzung (Graf 2020) ist angesichts der Vergabe des Literaturnobelpreises 2022 an Annie Ernaux und ihr autobiografisches, klassenbewusstes Werk nicht zu bezweifeln. Ebenso mit Didier Eribons soziologischem Selbstversuch Retour à Reims (deutsch Rückkehr nach Reims, 2016) und Édouard Louis‘ Romanen ist, von Frankreich ausgehend, eine Debatte über die ‚neue‘ Klassenfrage in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur angestoßen worden. Das mehrfach ausgezeichnete Debüt von Deniz Ohde, Streulicht (2020), der autobiografische Text von Christian Baron Ein Mann seiner Klasse (2020), Daniela Dröschers Zeige deine Klasse (2018) sowie Anke Stellings Roman Schäfchen im Trockenen (2018) – um nur einige der zeitgenössischen Texte zu nennen – stellen die soziale Herkunft in den Fokus.

Von einer Rückkehr der Klassenfrage zu sprechen, impliziert, dass diese keineswegs neu ist. Dem ist aus literarhistorischer Sicht unbedingt zuzustimmen: Bereits der frühneuzeitliche Schelmenroman ist als satirische Reflexion gesellschaftlicher Stratifikation zu lesen. In der Aufklärung gehen von Anton Reisers Bildungswegen (Karl Philipp Moritz: Anton Reiser, 1785/6 u. 1790) vielfache Impulse für die Gattung des Entwicklungs- und Bildungsromans aus. Für das 18. Jahrhundert ist das bürgerliche Trauerspiel, für das 19. Jahrhundert und seine Ausdifferenzierung der vorindustriellen Gesellschaft sind Romane der Gründerzeit oder die Dorfgeschichte (Auerbach, Keller) zu nennen, während in der Weimarer Republik die Angestelltenfigur in Erich Kästners Fabian (1931) oder Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen (1932) soziale Mobilität oder Immobilität thematisieren. Eine solch kurze und freilich unvollständige Auflistung zeigt: Literatur greift seit jeher soziale Fragen auf. Das gilt jedoch umgekehrt nicht im gleichen Maß für die Literaturwissenschaft.

Genau bei diesem Desiderat setzt die Tagung an und nimmt Literatur als ein Medium in den Blick, in dem soziokulturelle Zuschreibungen und Selbstbilder entworfen werden und sowohl in Themenwahl wie Figurendisposition zum Ausdruck kommen als auch formensprachlich greifbar werden.  Dementsprechend liegt der Fokus der Tagung zum einen auf der ÄSTHETIK DER KLASSE: Die Beiträge interessieren sich für die ästhetischen Eigengesetzlichkeiten (narrativen, rhetorischen Verfahren; Modelle von Raum und Welt etc.) von ‚Klassen-‘Texten. Zum anderen bemüht sich die Tagung um die HISTORISIERUNG VON PARAMETERN DES SOZIALEN und fragt danach, wie in der Geschichte und Gegenwart der Literatur soziale Identitäten und Modelle von Gesellschaft entworfen wurden; in diesem Zusammenhang ist das literaturwissenschaftliche Potential des sozioökonomischen Begriffs der Klasse zu eruieren.

 

PROGRAMM

DIENSTAG, 20.02.2024

 

10 Uhr

 

Julia Bodenburg, Irene Husser: Begrüßung

 

10.15-11.00 Uhr

 

Patricia Gwozdz: Klasse als Wille und Vorstellung: Wie Don Quijote Pierre Bourdieu erfand

 

11.00-11.45 Uhr

 

Lena Maria Friedrich: Klassenstruktur und Semantik? Zu ‚sozialer Herkunft‘ und Genese des Klassenbegriffs aus soziologischer Perspektive

 

11.45-12.30 Uhr

 

Heribert Tommek: Sich anlehnen. Der Geschmack der mittleren Klassenfraktionen

 

_Mittagspause_

 

14.00-14.45 Uhr

 

Eva Blome: Bildungsgeschichten und Klassenerzählung. Ein Versuch über Traditionslinien und Genreverhältnisse der Gegenwart

 

14.45-15.30 Uhr

 

Stefan Hermes: Aufklärerische Autosoziobiographik. Zur Narrativierung sozialer Ungleichheit in Ulrich Bräkers Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Trockenburg (1788/89)

 

15.30- 16.15 Uhr

 

Alexandra Pontzen: Aufstieg ohne ‚Leseszene‘: Weibliche Autosoziobiographie bei Annie Ernaux und deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen

 

_Kaffeepause_

 

16.45-17.30 Uhr

 

Joana van de Löcht: Bauernkalender, Wetterpredigt und höfische Meteorologie. Frühneuzeitliche Wetterwahrnehmung und gesellschaftliche Stratifikation

 

17.30-18.15 Uhr

 

Kerstin Wilhelms: Salonliteratur und Klasse: Soziale Zugehörigkeit gelehrter Damen

 

_Abendessen_

 

20.00 Uhr

 

Lesung von Daniela Dröscher aus Lügen über meine Mutter, Studiobühne der Universität Münster

  

MITTWOCH, 21.02.2024

 

09.00-09.45 Uhr

 

Julia Bodenburg: ‚Klassen‘-Affekte im sozialen Drama

 

09.45-10.30 Uhr

 

Irene Husser: Empfindsamer Realismus – Erzählen von Klasse und Klassengrenzen bei Theodor Fontane

 

_Kaffeepause_

 

10.45-11.30 Uhr

 

Ina Henke: „Bin ich eine verantwortungslose Mutter, Rico?“ –Verhandlungen von ‚Klasse‘ in Kriminalromanen für Kinder

 

11.30-12.15 Uhr

 

Irmtraud Hnilica: Bonbons und Erdbeeren. Konsum und Klasse in Deniz Ohdes Streulicht

 

_Mittagspause_

 

13.30-14.15 Uhr

 

Henning Podulski: „Ich schreibe für die Klasse, aus der ich komme und der ich mich nach wie vor verbunden fühle und in der ich weiterhin lebe“. Zur Kategorie ‚Klasse' in der Gruppe 61 und im Werkkreis

 

14.15-15.00 Uhr

 

Iuditha Balint: Klasse und Fürsprache

 

15.00-15.15 Uhr

 

Abschlussdiskussion

 

Die Tagung wird unterstützt vom Fritz-Hüser-Institut Dortmund, dem Gleichstellungsbüro sowie dem Germanistischen Institut der Universität Münster.

Eine Anmeldung für die Teilnahme (auch über Zoom) erfolgt unter: https://indico.uni-muenster.de/e/LiteraryClassStudies

Der Zugangslink wird am Tag vor Beginn der Tagung via E-Mail verschickt.

 

Organisation: PD Dr. Julia Bodenburg (juboden@uni-muenster.de), Dr. Irene Husser (irene.husser@uni-tuebingen.de)

Source of description: Information from the provider

Fields of research

Literary historiography, Literature and sociology, Literature and cultural studies, Poetics, Aesthetics, Rhetoric

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Institutions

Westfälische Wilhelms-Universität Münster (WWU)
Date of publication: 30.01.2024
Last edited: 30.01.2024