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Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi). Themenheft: Lesende und erlesene Körper

Abstract submission deadline
15.09.2023
Paper submission deadline
01.10.2024

Announcement Type

Call for Papers

Subject Fields

Humanities,Linguistics,Literature

Diese Heftausgabe der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) widmet sich den Aspekten der Verkörpertheit und Sprachlichkeit in Verbindung mit der kulturellen Praktik des ‚Lesens‘. Anschließend an den Body Turn wird diese vielschichtige Thematik aus einer integrierten Perspektive behandelt, die literaturwissenschaftliche und linguistische Beiträge umfasst und die interdisziplinäre (etwa philosophische, soziologische und kulturwissenschaftliche) Zugänge einschließt.

Thematisiert werden soll zum einen die Körperlichkeit des Leseaktes (vgl. etwa Schön 1993). So könnte die Körperlichkeit Lesender (etwa verschiedene „Lesegebärden“, Gesten, konventionalisierte oder subversive Körperpraktiken) in den Blick genommen werden, wie sie in literarischen Leseszenen, in Filmen (Rouget/Schaffers 2019; Rouget 2021) und in Ikonographien des Lesens zur Darstellung kommen (vgl. z.B. Hron et al., 2020; Grond-Rigler; Keller 2011). Zudem könnten Leseszenen im Alltag, die an bestimmte (körperliche und verbale) Praktiken gebunden sind, bearbeitet werden: Lesende Körper realisieren z.B. im Umgang mit digitalen Medien via Smartphones mit Handbewegungen und Körperhaltungen verbundene berührende, ‚swipende‘, ‚draggende‘ Gesten, sodass sie zu „Ganzkörperschnittstellen“ (Wildfeuer et al. 2020, S. 51) werden, die Virtualität und Körperlichkeit verschmelzen lassen. Als ‚Smombies‘ laufen lesende Körper scheinbar körpervergessen durch die Welt, wodurch sie zum Symbol für eine neue Generation, der ‚Head- Down-Generation‘, werden. Hier könnte also u.a. danach gefragt werden, inwiefern das digitale Lesen zu neuen ‚Verlusten der Sinnlichkeit oder Verwandlungen der Lesenden‘ (vgl. Schön 1993) führt. Mit Blick auf die Betextung im öffentlichen Raum werden orts-, zeit- und raumgebundene Körper (Domke 2014) geschaffen, die sich im Akt des Lesens räumlich positionieren oder die positioniert werden. In Ausstellungen (und im Zoo usw.) wird das Ausgestellte interpretiert, werden zugehörige Informationstafeln gelesen und diskutiert, stellen Beobachter*innen ihre fokussierte Wahrnehmung körperlich und verbal zur Schau (Hausendorf 2007). Bezogen auf die Körperlichkeit des Leseaktes könnte also u.a. im Rahmen einer interaktionalen Multimodalitätsforschung nach spezifischen Gesten und Praktiken gefragt werden, die Körper im Akt des Lesens betonen, verändern, lenken, suspendieren und sprachlich interaktiv relevant setzen.

Zum anderen soll auch das (Er-)Lesen von Körpern in den Fokus kommen: So kann etwa der eigene Körper gelesen werden – „Schon nach wenigen Wochen realisierte ich, dass mein Körper ein Buch war, in das ich bislang kaum hineingelesen hatte. Ein erstaunliches, sich selbst fortschreibendes Buch, das immer wieder neue Kapitel auftat“ (Trojanow 2016, S. 30) – oder der Körper der ‚Anderen‘ (vgl. Schaffers 2006). Mit Bezug auf Schmerz- und Krankheitserfahrungen werden Körper in der Gesundheitskommunikation (z.B. in (Physio- )Therapie- und Arzt-Patient*innen-Gesprächen) zu (problematisierten) Zeichen, die gelesen und versprachlicht werden müssen, um interaktiv verstehbar zu werden. Erlernbare Körperbewegungen und -haltungen (z.B. im Sport) können zudem eng mit einem (vor- oder nachgängigen) Lesen (z.B. von Ratgeberbüchern) verzahnt sein (vgl. Ortner 2023) und somit multimodale Interaktion und diskursives Wissen in einem materiell-semiotischen Knoten verbinden. Körper sind in diesem Sinne holistische, lesbare Zeichen, deren Bedeutsamkeit auch durch die anderen – die Lesenden – erst (interaktiv) hergestellt wird. Diese Körper können menschlich, tierlich oder Cyborgs (Haraway 1995) sein und sich einer kategorialen Zuschreibung entziehen. Die (aus)erlesenen Körper können vertraut oder fremd, nah oder fern sein bzw. als solche gelesen und interpretiert werden. Sie können offen lesbar sein ‚wie ein Buch‘ oder verschlossen sein wie ‚eine Auster‘, sie können interpretierbare Zeichen bewusst senden oder verbergen, sie können auch unfreiwillig gelesen oder (etwa in interkulturellen und interspezifischen Begegnungen) als ‚unlesbar‘ wahrgenommen werden. In der Performance- Kunst, in der Werbung oder auf Instagram werden Körper wiederum als lesbare Zeichen (z.B. für Verletzlichkeit, für Stärke, für Mobilität, Jugendlichkeit usw.) inszeniert. Mit anderen Worten: Körper sind soziale Konstruktionen, die ‚als xy (männlich / weiblich, jung/alt usw.) gelesen werden (oder gelesen werden wollen/sollen)‘. Aus kulturlinguistischer Sicht stellt sich dabei die Frage, wie viel Agency den sozialen Akteur*innen bezüglich der (richtigen, gewünschten) Lesart ihres Körpers zuteilwird und wie die Lesarten von Körpern diskursiv verhandelt werden. Dinge, die wir (nur) beobachten, sind „Phänomene“, „liest man die Dinge, dann setzt man voraus, daß sie etwas bedeuten, und versucht, diese Bedeutung zu entziffern“ (Flusser 1993, S. 123). Zu fragen wäre daher auch: Lässt sich aus einer literatur- und kulturwissenschaftlichen bzw. -linguistischen Perspektive heraus bestimmen, wo das Beobachten der Phänomene aufhört und das Lesen und damit die Konstruktion von Bedeutung beginnt? Wie lässt sich das Körperlesen – v.a. in der multimodalen Linguistik – qualitativ, als eine besondere kulturelle Geste/Gebärde/Praktik, von Interpretation unterscheiden? Und wodurch können Akte des Hinein- und Hinauslesens (z.B. im Rahmen von egozentrischer und allozentrischer Empathie, Breyer 2013) differenziert werden?

Unter lesenden und erlesenen Körpern verstehen wir somit gleichermaßen die (manchmal auch zeitgleich) aktive und passive Beteiligung von Körpern am Erzeugen und Lesen von Zeichen. Der Körper ist der Ort, an dem sich wahrnehmende Aktivitäten (Sinneswahrnehmungen / Gefühle / Kognition) bündeln, die es bedarf, um Weltvorkommnisse zu verstehen. Was mit Hilfe des eigenen Körpers (aus-/auf-/ab-)gelesen wird, können kulturelle und konventionalisierte Zeichen/Symbole sein (Texte) oder natürliche Indikatoren (Symptome). Diese gelesenen Zeichen können deponiert (z.B. als Fährten/Spuren) oder performativ aufgeführt werden. In diesem Sinne werden Körper selbst zu lesbaren, kulturellen Zeichen (im Akt des Lesens).

Wir freuen uns über zahlreiche Themenvorschläge in Form eines kurzen Abstracts (max. 2.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis zum 15.09.2023 an die beiden Herausgeberinnen des Themenheftes Uta Schaffers (schaffers@uni-koblenz.de) und Pamela Steen (steen@uni- koblenz.de). Wir melden uns bis zum 30.11.2023 bezüglich einer Annahme des Beitrags in das Heft zurück; Frist für die Einreichung der fertigen Beiträge (50.000 bis 90.000 Zeichen) ist der 01.10.2024.

Literatur:

Breyer, Thiemo: Empathie und ihre Grenzen. Diskursive Vielfalt – phänomenale Einheit? In: Thiemo Breyer (Hg.): Grenzen der Empathie. Philosophische, psychologische und anthropologische Perspektiven. München: Wilhelm Fink, 2013.

Domke, Christine: Die Betextung des öffentlichen Raumes. Eine Studie zur Spezifik von Meso- Kommunikation am Beispiel von Bahnhöfen, Innenstädten und Flughäfen. Heidelberg: Winter, 2014.

Flusser, Vilém. Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen. Mit einem Nachwort von Florian Rötzer. München: Carl Hanser, 1993.

Franzmann, Bodo (Hg.): Handbuch Lesen. Baltmannsweiler: Schneider, 2001.

Grond-Rigler, Christine/Keller, Felix (Hg.): Die Sichtbarkeit des Lesens. Variationen eines Dispositivs. Innsbruck: StudienVerlag, 2011.

Hron, Irina/Kita-Huber, Jadwiga/Schulte, Sanna (Hg.): Leseszenen. Poetologie – Geschichte – Medialität. Heidelberg: Winter., 2020 (auch: Lesegebärden. Tagung mit Vorträgen, Lesung und Gespräch im Literaturhaus Wien (https://www.literaturhaus.at/index.php?id=205&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3404&c Hash=3531ef2cc949c6533af21a64a1bee27a).

Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Herausgegeben und eingeleitet von Carmen Hammer und Immanuel Stieß. Frankfurt am Main/New York: Campus, 1995.

Hausendorf, Heiko: Die Sprache der Kunstkommunikation und ihre interdisziplinäre Relevanz. In: Heike Hausendorf (Hg.): Vor dem Kunstwerk. Interdisziplinäre Aspekte des Sprechens und Schreibens über Kunst. München: Wilhelm Fink, 17–51.

Honold, Alexander/Parr, Rolf: Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen. Berlin/Boston: De Gruyter, 2018.

Ortner, Heike: Sprache – Bewegung – Instruktion. Multimodales Anleiten in Texten, audiovisuellen Medien und direkter Interaktion. Berlin/Boston: De Gruyter, 2023.

Rautenberg, Ursula/Schneider, Ute (Hg.): Lesen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Berlin/Boston: de Gruyter, 2016.

Schaffers, Uta: Konstruktionen der Fremde. Erfahren, verschriftlicht und erlesen am Beispiel Japan. Berlin; New York: Walter De Gruyter, 2006.

Schaffers, Uta/Rouget, Timo: Die Arbeit an der Verbindlichkeit: Reglementierungen und Normierungen der Lesepraxis und ihre Irritation. In: Bauks, Michaela et al. (Hg.): Verbindlichkeit. Stärken einer schwachen Normativität. Bielefeld: transcript. 2019, S. 155–179.

Rouget, Timo: Filmische Leseszenen. Ausdruck und Wahrnehmung ästhetischer Erfahrung. Berlin/Boston: de Gruyter, 2021.

Schön, Erich: Der V erlust der Sinnlichkeit oder die Verwandlungen des Lesers. Mentalitätswandel um 1800. Stuttgart: Klett-Cotta, 1993.

Trojanow, Ilja: Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen. Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2016.

Wildfeuer, Janina/Bateman, John A./Hiippala, Tuomo: Multimodalität. Grundlagen, Forschung und Analyse – eine problemorientierte Einführung. Berlin/Boston: De Gruyter, 2020.

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Fields of research

Interdisciplinarity, Literature and sociology, Literature and cultural studies, Literature and philosophy, Themes, motifs, thematology
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Date of publication: 14.07.2023
Last edited: 14.07.2023