Sammelband "Schwarze deutsche Literatur. Ästhetische und politische Interventionen"
Schwarze deutsche Literatur ist seit einigen Jahren durch Romane wie Brüder von Jackie Thomae, 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel sowie Sharon Dodua Otoos Adas Raum im literarischen Feld präsenter geworden und stößt auch in den germanistischen Literaturwissenschaften auf ein größeres Interesse. Allerdings fällt auf, dass der Fokus in der Forschung zu Schwarzer deutscher Literatur bislang meist nicht auf einer Schwarzen Literaturtradition liegt, sondern die oben genannten Erzähltexte meist ausschließlich als Einzelwerke gelesen werden. Der geplante Sammelband Schwarze deutsche Literatur. Ästhetische und politische Interventionen soll dies ändern. Es ist zwar bedeutsam, den literarischen Texten Schwarzer Schriftsteller*innen individuelle Beachtung zu schenken, jedoch bedarf es auch neuerer Forschung, die Strömungen und Entwicklungen, Kontinuitäten und Brüche, innerhalb der Schwarzen deutschen Literatur sowie Kontaktpunkte innerhalb der afrikanischen Diaspora sichtbar macht. Ziel des Sammelbandes ist es, Schwarze deutsche Literatur in ihrer Vielfalt sowie als Teil einer langen afrodiasporischen Ästhetik- und Wissenstradition anzuerkennen und zu erforschen. Denn, so Philipp Khabo Koepsell, Schwarze deutsche Autor*innen „positionieren die schwarze deutsche Geschichte als Teil einer internationalen Diaspora-Erfahrung” (Koepsell 2019).
Während sich in den USA seit den 1990er Jahren das Forschungsfeld der Black German Studies mit Wissenschaftler*innen wie Leroy Hopkins, Tina Campt, Michelle Wright, Fatima El-Tayeb, Tiffany Florvil, Vanessa Plumly, Priscilla Layne und vielen anderen etabliert[1], gibt es hierzulande noch keinen vergleichbaren Forschungsbereich, dessen Fokus auf Schwarzer deutscher Geschichte, (Pop-) Kultur, Literatur und Musik liegt. Daher ist es wenig überraschend, dass die Mehrheit an Forschungspublikationen im Bereich der Black German Studies bisher auf Englisch erschienen ist. Dies möchte der Sammelband Schwarze deutsche Literatur. Ästhetische und politische Interventionen ändern, da er erstmalig neueste Forschung zu Schwarzer deutscher Literatur in Form von deutschsprachigen Artikeln und Gesprächen mit Autor*innen sowie Aktivist*innen einem breiteren Publikum zugänglich macht. Ziel ist es, die Literaturwissenschaften innerhalb der Black German Studies zu stärken sowie dazu beizutragen, das dynamische Forschungsfeld der Black German Studies in Deutschland weiter zu festigen.[2]
Der Sammelband baut auf die bereits vorhandene Forschung der Black German Studies auf und erweitert diese. In Deutschland leisten Forscher*innen wie Natasha A. Kelly, Peggy Piesche, Maisha Auma und andere bereits seit vielen Jahren wichtige Arbeit in diesem Bereich. Hierbei handelt es sich um Forschung, die aus unterschiedlichen Disziplinen stammt und diese oftmals auch überschreitet. Wissenschaftliche Beiträge zu Schwarzer deutscher Literatur sind jedoch bis auf einige wenige Beispiele bisher kaum vorhanden.[3] Ziel des Sammelbandes ist es, einen Dialog von Forscher*innen auf beiden Seiten des Atlantiks über Schwarze deutsche Literatur zu schaffen. Es geht darum, zum einen die Wissensbildung der Black German Studies durch neuere, literaturwissenschaftliche Forschungsbeiträge zu erweitern und zum anderen die Entwicklung der Schwarzen deutschen Literatur sichtbar zu machen. Es soll eine Forschungslücke geschlossen werden, da der Sammelband erstmalig einen Überblick über die Vielfalt Schwarzer deutscher Literatur gibt. Zudem soll der Sammelband Impulse für zukünftige Forschung geben, die – mit Blick auf Konzepte wie das Afropäische und das Forschungsfeld der Black European Studies – geografische Grenzen in Europa überschreitet.
Dem Sammelband liegt das Anliegen zugrunde, Schwarze deutsche Literatur und ihre ästhetischen wie auch politischen Interventionen gattungsübergreifend sichtbar zu machen. Er soll Beiträge enthalten, die sowohl methodisch und theoretisch als auch thematisch innovativ sind. Hier ist vor allem interessant, wie Autor*innen in ihren literarischen Texten mit Konzepten wie Heimat, Zugehörigkeit, Identität, Gender und Diaspora umgehen. Denn die Literatur Schwarzer Autor*innen interveniert, indem sie neue literarische Ästhetiken entwickelt und sich oftmals auch politisch in das Zeitgeschehen einmischt. Schwarze deutsche Literatur schafft Irritationen, da sich Menschen, die immer noch rassifiziert und marginalisiert werden, selbstbewusst ästhetisch wie auch politisch in Deutschland – aber auch darüber hinaus – einschreiben. Der Sammelband geht der Frage nach, wie durch das Überschreiten von gesellschaftlichen Normen und Grenzen Momente ästhetischer Interventionen entstehen, die zugleich politisch sind. Um die ästhetischen und politischen Interventionen in Schwarzer deutscher Literatur sichtbar zu machen, bedarf es gesellschafts- und hegemoniekritischer Theorien und Methoden. Der Sammelband soll daher dekoloniale, antirassistische und intersektionale Beiträge versammeln. Politische und ästhetische Interventionen sollen zusammengedacht werden, was jedoch keineswegs eine ausschließlich politische Lesart Schwarzer deutscher Literatur bedeutet. Vielmehr soll der Sammelband einen Überblick über die vielfältigen Themen, literarischen Formen und Kontaktpunkte Schwarzer deutscher Literatur bieten, die die Literatur und Gesellschaft in Deutschland beeinflussen.
Der Sammelband setzt sich zum Ziel, einen Überblick über die Schwarze Literaturtradition in Deutschland zu geben. Philipp Khabo Koepsell beobachtet einen Wandel: „Die neuere schwarze Literatur zeugt von einem Wandel in der Selbstwahrnehmung. Die Autor*innen suchen nicht mehr unbedingt danach, als gleichwertig deutsch angesehen zu werden. Sie sind sich bewusst: Ja, wir können deutsch sein – aber wir müssen es nicht.“ (Koepsell 2019) Der Sammelband zielt darauf, auch weniger bekannte Schwarze deutsche Schriftsteller*innen und ihre Literatur als Teil einer Schwarzen deutschen Literaturtradition sichtbar zu machen. Auf diese Weise zeigen sich zugleich auch Mechanismen des Ausschlusses, der Marginalisierung und Rassifizierung, die immer noch in den Literaturwissenschaften und -institutionen sowie der deutschen Gesellschaft greifen. Eine Schwarze deutsche Literaturtradition herauszuarbeiten, bedeutet zugleich, dass sich ein neuer Kanon bildet, der nicht der tradierte weiße Literaturkanon ist.
Im Sammelband werden folgende Fragen verhandelt (Beiträge sind jedoch nicht auf diese beschränkt):
o Wie hat sich die Schwarze deutsche Literatur ab dem 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart entwickelt?
o Lassen sich Kontinuitäten oder Brüche in der Schwarzen deutschen Literatur erkennen?
o Welche Schriftsteller*innen haben die Schwarze deutsche Literatur geprägt bzw. prägen diese?
o Welche anderen Akteur*innen sind bedeutsam für die Schwarze deutsche Literatur?
o Welche Ästhetiken werden in den literarischen Werken Schwarzer deutscher Autor*innen sichtbar? Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede zeigen sich?
o Wie ist das Verhältnis von Schwarzer deutscher Literatur, Aktivismus und Gesellschaft?
o Welche Formen ästhetischer und politischer Interventionen zeigen sich in Schwarzer deutscher Literatur?
o Wodurch zeigt sich, dass Schwarze deutsche Literatur Teil einer afrodiasporischen Literaturtradition ist?
Vorschläge für Beiträge in Form eines Abstracts (max. 400 Wörter, vorläufiger Beitragstitel) sowie eine kurze Bio werden bis zum 19.02.2023 erbeten an Jeannette.Oholi@gcsc.uni-giessen.de. Es gibt bereits Interesse seitens des Peter Lang Verlags, den Sammelband in der Reihe Imagining Black Europe, herausgegeben von Tiffany Florvil and Vanessa Plumly, zu veröffentlichen.
Zitierte Literatur
BDG Network (2018): The Black Diaspora and Germany. Deutschland und die Schwarze Diaspora. Münster: edition assemblage.
Campt, Tina M. (1993): Afro-German Cultural Identity and the Politics of Positionality. Contests and Contexts in the Formation of a German Ethnic Identity. In: New German Critique 58, S. 109–126.
El-Tayeb, Fatima (2015): Anders Europäisch. Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten Europa. Münster: Unrast.
El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript.
Florvil, Tiffany / Plumly, Vanessa (Hg.) (2018): Rethinking Black German Studies. Approaches, Interventions and Histories. Oxford [u.a.]: Peter Lang.
Florvil, Tiffany N. (2020): Mobilizing Black Germany. Afro-German Women and the Making of a Transnational Movement. Urbana [u.a.]: University of Illinois Press.
Hopkins, Leroy T. (1992): Expanding the Canon. Afro-German Studies. In: Die Unterrichtspraxis / Teaching German 25.2, S. 121–126.
Hopkins, Leroy T. (2005): Writing Diasporic Identity. Afro-German Literature since 1985. In: Mazón, Patricia / Steingröver, Reinhild (Hg.): Not so plain as Black and White. Afro-German culture and history, 1890–2000, S. 183–208.
Kamta, Florentin Saha (2014): ‚Poesie des Überlebens‘. Vom Umgang mit der Krise der Identität in der afrodeutschen Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Koepsell, Philipp Khabo (2019): Schwarze deutsche Literatur. Heimat, Identität und Rassismus. URL: https://www.goethe.de/ins/pt/de/kul/sup/lit/21736571.html (07.06.2022).
Kron, Stefanie (1996): Fürchte dich nicht, Bleichgesicht! Perspektivwechsel zur Literatur Afro-Deutscher Frauen. Münster: Unrast.
Layne, Priscilla (2018): White Rebels in Black: German Appropriation of Black Popular Culture. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Layne, Priscilla (2019): Why Do Black German Studies Matter Now?. In: DDGC Blog. URL: https://diversityingermancurriculum.weebly.com/ddgc-blog/why-does-black-german-studies-matter-now3706504 (01.06.2022).
Lennox, Sara Lennox (Hg.): Remapping Black Germany. New Perspectives on Afro-German History, Politics, and Culture. Boston: University of Massachusetts Press.
Wright, Michelle M. (2003): Others-from-within from without. Afro-German Subject Formation and the Challenge of a Counter-Discourse. In: Callaloo 26.2, S. 296–305.
[1] Siehe hierzu u.a. Campt 1993; El-Tayeb 2015 und 2016; Florvil/Plumly 2018; Florvil 2020; Hopkins 1992 und 2005; Layne 2018; Lennox 2016 und Wright 2003.
[2] Siehe zur Bedeutung der Black German Studies in Deutschland und den USA Layne 2019.
[3] Siehe Hopkins 2005; Kamta 2014; Koepsell 2019; Kron 1996.