Rhetorik und Transzendenz – Workshop im Rahmen des Forschungsforums „Literatur und Religion“ für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Das erste Treffen der Workshop-Reihe „Literatur und Religion“ an der Abteilung für Komparatistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg steht unter dem Titel „Rhetorik und Transzendenz“. Wir wollen nach Formen des Sprechens über, zu oder im Namen von Transzendenzen fragen; nach argumentativen Mustern, Denkfiguren, Narrativen und rhetorischen Mitteln ebenso wie nach möglichen immanenten Transzendenzen rhetorischen und literarischen Sprechens. Mit der Rhetorik steht ein zentrales Konzept und eine wichtige Praxis im Fokus, die sowohl literarisches wie religiöses Sprechen betrifft, zu beiden allerdings auch in einem durchaus spannungsreichen Verhältnis steht. Transzendenz lässt sich auch als Hinweis auf eine Differenz verstehen, die quer zu bestimmten Gegenstandsbereichen verläuft. Die Konstellationen der Beziehung zwischen diesen beiden Probemfeldern sollen im Workshop vorzugsweise an konkreten Projekten ausgeleuchtet werden: an Texten oder Praktiken, die sich auf Rhetorik und Transzendenz beziehen.
Rhetorik umfasst eine Reihe von Sprach- und Ausdrucksformen, die dort einspringen, wo Antworten benötigt werden, aber nicht einfach oder sicher zu geben sind. Sie steht gleichermaßen für ein schwaches Sprechen, das den Mangel an zureichenden Ausdrücken überspielt, und für ein starkes, Zweifel und Widerstand überwältigendes Sprechen. Rhetorik ist dabei Glauben Machen im essentiellen Sinn: Sie evoziert fingierte Wirklichkeiten und stellt sie vor Augen – und denkt dabei immer schon über den Zusammenhang von Sprache und anderen Medien nach –, sie spricht über das bloß Wahrscheinliche, wo das Wahre nicht zur Hand ist, sie produziert Zustimmung und Überzeugung auch in Situationen von Desinteresse und Gleichgültigkeit. In beiden Hinsichten hat sie in der religiösen Rede immer schon eine zentrale Rolle gespielt, etwa wenn es darum geht, theologisch anschaulich von Unanschaulichen zu reden oder homiletisch die Zuhörer zur Wahrheit erst zu erwecken. Und wenn das Nachdenken über Rhetorik oft um „absolute Metaphern“ (Hans Blumenberg) oder „God Terms“ (Kenneth Burke) kreist, macht das ebenfalls deutlich, wie leicht das Feld der Religion berührt wird.
Transzendenz ist ein Grundbegriff gerade der neueren Religionstheorie geworden, um das Unverfügbare und zugleich alles Fundierende, um das es der Religion geht, zu bestimmen. Der Ausdruck will formaler als ältere Termini sein – das „Unendliche“, das „Heilige“, das „Unbedingte“ –, ist aber ebenfalls vieldeutig, je nachdem ob man Transzendenz ontologisch, epistemologisch, anthropologisch, phänomenologisch, semiotisch versteht; auch ist er argumentativ komplex, weil er asymmetrisch auf den Gegenbegriff der Immanenz bezogen ist, die ihm gegenübersteht, aber auch irgendwie von ihm abgeleitet wird, die sich von ihm unterscheidet, mit der es aber auch einen Verkehr gibt, der die Religion ausmacht. Wie sich dabei in verschiedenen Redeweisen von der Transzendenz eine Topologie unterschiedlicher Räume mit einer kategorialen oder auch ethischen Differenz verbindet, ist im Einzelnen ebenso zu diskutieren, wie die verschiedenen Konzeptionen etwa von religiösen und anderen Transzendenzen oder mögliche Unterscheidungen von „großen“, „mittleren“ und „kleinen“ Transzendenzen (Thomas Luckmann) und die verschiedenen Metaphern und Narrative, die bei der Rede von Transzendenz aufgerufen werden: Gibt es Gegensätze, Hierarchien, Analogien zwischen Immanenz und Transzendenz, gibt es Wege von „hier“ nach „dort“, Sprünge, Durchbrüche?
So eng Rhetorik und Transzendenz auch aufeinander bezogen sind, so prekär ist doch auch ihr Verhältnis zueinander und ihr jeweiliger Status, zumindest in der Neuzeit. Die Rhetorik steht hier immer schon unter Generalverdacht, gerade im religiösen Register: Ein bloß rhetorisches Bekenntnis ist leicht keines mehr und die Rede von der Transzendenz steht spätestens seit Feuerbach unter dem Generalverdacht, bloß „übertragene“ Rede vom Menschen zu sein. Aber auch die Literatur distanziert sich von der rhetorischen Technik, gerade wo sie sich emphatisch als „Dichtung“ versteht und – keinesfalls nur in den Projekten der Kunstreligion – selbst religiöse Impulse der Sinndeutung aufnimmt. Transzendenz dagegen scheint gerade in dem Moment für das Selbstverständnis des Religiösen zentral zu werden, wo die Philosophie kritisch nach den transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis fragt und damit die alte Transzendenz der natürlichen Theologie diskreditiert. In der Rede von der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) wird Transzendenz ohnehin primär zu einer Leerstelle; dass diese Formel aber zugleich auch eine Krise der Immanenz – bei Lukács: des „Lebens“ und eben auch der Literatur, die von diesem handelt – anzeigt, macht allerdings bereits deutlich, dass dieser Prozess weder einfach mit dem Verlust von Transzendenz identisch ist, noch einfach und unilinear ist. Wie bei der Rhetorik muss man auch hier nach Ungleichzeitigkeiten und Irregularitäten fragen, nach dem Weiterleben der Rhetorik etwa (in der Literaturkritik, in der Homiletik, in der politischen Rede), nach anderen Transzendenzen und Adaptionen und Umschriften der Rhetorik der Transzendenz. Zu fragen wäre hier auch nach Alternativen und Gegentraditionen jenseits der hegemonialen Selbsterzählungen der Moderne, ist es doch leicht denkbar, dass ‚andere‘ Religionen andere Rhetoriken ausbilden und andere Konzeptionen von Literatur sich anders auf Transzendenz beziehen.
Rhetorik und Transzendenz sind beides allgemeine Kategorien – aber auch Grenz- und Problembegriffe, die auf die Vorannahmen und Vorurteile etablierter disziplinärer Zugriffe verweisen und es erlauben, neu und anders auf das breite Feld von Literatur und Religion zu blicken. Die Beiträge des Workshops diskutieren, welche rhetorischen und literarischen Mittel in der Rede von und über Religion benutzt werden und wie Transzendenz nicht nur zum Thema, sondern auch zum Antrieb literarischer Texte wird. Das Spektrum reicht dabei vom Rekurs auf rhetorische Figuren in theologischen Texten zum breiten Feld der Homiletik; von der elegischen Klage über den Verlust von Transzendenz, zur der Ambition, Transzendenz wieder erfahrbar zu machen, sei es in Formen exaltierten, hymnischen, oder allusiven, hermetischen Sprechens, sei es in dem Rekurs auf die ‚special effects‘ anderer Medien; von der Beschwörung neuer Präsenzen zu den vielfältigen Rhetoriken des Entzugs, der Negativität oder auch der Ankündigung.
Der Workshop „Rhetorik und Transzendenz“ findet am 30. September und 1. Oktober 2021 an der Universität Halle-Wittenberg statt. Wir gehen von einer Präsenzveranstaltung aus. Sollte das nicht möglich sein, werden wir eine Online Alternative organisieren.
Interessierte NachwuchsforscherInnen sind eingeladen, Exposés ihrer Forschungsprojekte (ca. 5 Seiten) und/oder ein Vortragsabstract (ca. 2 Seiten) einzureichen. Bitte schicken Sie Ihr Exposé oder Abstract bis zum 15. Juni an Robert Buch, robert.buch@germanistik.uni-halle.de.
Die Auswahl der TeilnehmerInnen wird zügig erfolgen, so dass genügend Zeit ist, die Anreise zu planen. Eine finanzielle Unterstützung zu den Aufenthaltskosten ist vorgesehen. Bei der Veröffentlichung der Beiträge (vorzugsweise in Fachzeitschriften) werden wir die Teilnehmenden unterstützen.
Organisation Robert Buch und Daniel Weidner
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