„Nüchtern wie Cellophan“: Die Schriftstellerin Adelheid Duvanel – Meisterin der kleinen Formen
Adelheid Duvanel (1936--1996) ist die Wiederentdeckung des Jahres 2021. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Schweizer Autorin fand jedoch bisher nicht statt. Das wollen wir ändern und möchten uns in der geplanten Tagung (25. und 26. November 2022) dem Werk Duvanels und ihrer Einordnung in die Schweizer / deutschsprachige Literatur widmen.
In der Schweiz wird die Neuauflage der vergessenen und niemals zuvor als Gesamtausgabe publizierten Kurzgeschichten Adelheid Duvanels gegenwärtig als große literarische Wiederentdeckung gefeiert. Der NDR Podcast entdeckt das Ungewisse bei Duvanel, Bayern 2 widmet sich Duvanel und Max Frisch, der SRF feiert die vergessene Autorin am Schweizer Vorlesetag. Duvanels Erzählungen und Zeichnungen erleben Hochkonjunktur und werden in der Schweiz bei Zürich liest und Buch Basel gewürdigt und der Literaturzeitschrift Das Narr dient Duvanel als Vorlage zur erneuten Rezeption.
Das Werk besteht aus kleinen Formen: zahlreiche dichte Miniaturen, die bizarre Szenen von Außenseiter*innen in engen Verhältnissen zeigen. Die Protagonist*innen ebenso wie ihre Geschichten sind sperrig, unpassend, schonungslos, kauzig und ironisch. Ihre Welt ist fremd und sie bleiben der Welt fremd. Peter von Matt spricht von „Komödien der Einsamkeit“. Die Einzigartigkeit dieser Geschichten entzieht sich des Vergleichs mit den kanonisierten Meistern kleiner Formen wie etwa Franz Kafka und Robert Walser. Fragt man danach, warum Adelheid Duvanel vergessen wurde, kann es also kaum ihre Partikularität sein. In Betracht kommt eher, dass von ihr zwar ebenfalls ein zeichnerisches Werk vorliegt, aber keine literarische Großform.
Duvanel gerät immer mal wieder in den Fokus der Forschung. Es stellt sich die Frage, an welche aktuelle gesellschaftliche Debatte das Schaffen der Autorin nun anschließbar ist. Betrifft es die Isolation und Vereinzelung, die die Corona-Krise ausgelöst hat? Dies umkreist auch weitere Themenfelder wie gesellschaftliche Marginalisierung, Tabu und psychische Krankheit. Oder handelt es sich um eine mehr oder weniger feministische Wiederentdeckung?
Die Tagung verfolgt das Ziel, umfassend an das Werk Duvanels heranzutreten.
Wir freuen uns über zahlreiche Beiträge zu folgenden möglichen Themenfeldern:
Literatur und Malerei: Duvanel als Künstlerin und ihr künstlerisches Umfeld im Spannungsfeld zur Literatur
Biographie, Ästhetik, Poetologie und Schreibprozess
Autobiographische Zugänge, literarisches Umfeld der Autorin, Briefe und Werknachlass
Kafkaeskes bei Duvanel?
Duvanel in der Tradition des weiblichen Verstummens
Reflexion der Künstlerin: als Frau, im Zimmer...
Psychische Erkrankung, Krise, Depression, negative Poetik
Duvanel: Kleine Form – große Wirkung?
Walser, Frisch, Dürrenmatt – Duvanel? Was ist Kanon?
Figurenarsenal: Außenseiter, Träumer, Künstler, Randständige
Sonderausgabe Das Narr: Zur Rezeption Duvanels im Jahr 2021 und 2022
Naturerscheinungen, Tiere, Insekten ...
Tabu und Marginalisierung
Komödie der Einsamkeit?
Wir hoffen auf Ihr reges Interesse und bitten um Zusendung kurzer Abstracts (ca. 300 Wörter) mit bio-bibliographischer Notiz bis zum 30. Juni 2022. Bitte senden Sie Ihre Vorschläge per E-Mail an Friederike Ehwald, ehwald.friederike@gmail.com und Birgitt Reiss: birgitt.reiss@ilw.uni-stuttgart.de
Die Zusage erfolgt am 10. Juli 2022.
Für die Vorträge ist eine Dauer von 20 Minuten vorgesehen.
Die Tagung findet vom 25. bis 26.11.2022 an der Universität Stuttgart statt. Veranstaltet wird die Tagung vom Verein FrideL e.V. – Frauen in der Literaturwissenschaft in Zusammenarbeit mit der Abteilung Neuere Deutsche Literatur der Universität Stuttgart und dem Literaturhaus Stuttgart.
Wir halten Sie gern auf der Website zur Tagung auf dem Laufenden: https://www.fridelev.de
Die Publikation eines Sammelbandes im Anschluss an die Tagung ist geplant.
Literatur:
Duvanel, Adelheid: Fern von hier. Sämtliche Erzählungen, hrsg. v. Elsbeth Dangel-Pelloquin, mit Texten v. Friederike Kretzen, Zürich, 2021.
Gresser, Anne-Marie: De l'Alpe suisse au bestiaire fantastique. Les animaux chez Johanna Spyri et Adelheid Duvanel, in: Cluet Marc (Hrsg.): L'amour des animaux dans le monde germanique 1760–2000, 2006, S. 191–200.
Henke, Silvia: Schreibend, aus der Einsamkeit, in die Verwilderung, ins Schwarze. Zur Poetik von Annemarie Schwarzenbach, Adelheid Duvanel und Kristin T. Schnider, in: Heinz L. Arnold (Hrsg.): Text + Kritik. Sonderausgabe. Literatur in der Schweiz, München, 1998, S. 132–143.
von Matt, Peter: Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz, München, 2012.
Stanley, Patricia: When scriptotherapy fails, the life and death of Sylvia Plath and Adelheid Duvanel, in: Seminar. A Journal of Germanic Studies, Bd. 42, Nr. 4, 2006, S. 395–411.