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Kunst – Komik – Kritik. Normverstöße im Kontext von Zensur im 20. Jahrhundert, Berlin

Beginning
23.10.2024
End
25.10.2024
Abstract submission deadline
08.07.2024

Was Zensur genau ist, darauf lässt sich keine einheitliche Antwort geben. Nikola Roßbach beschreibt das Problem in ihrer Monographie pointiert: „Es gibt unzählige Zensurdefinitionen: weite und enge, juristische und alltagssprachliche, politische und historische, sozial- und literaturwissenschaftliche.“[1] Demnach kann, je nach begrifflicher Festlegung, unter Zensur etwas gänzlich anderes verstanden werden.[2] Um in einem internationalen und interdisziplinären Symposium die Möglichkeiten kritischer Äußerungen konstruktiv analysieren zu können, soll Nikola Roßbachs  Zensurbegriff als Grundlage genutzt werden. Sie definiert Zensur als eine strukturell und institutionell verankerte Kontrolle von bestimmten Meinungsäußerungen, die sowohl vor als auch nach der Publikation sanktioniert werden – nebst ihren Wirkungen.[3] Mit diesem Begriff lässt sich die Selbstzensur analysieren, unter der Berücksichtigung, dass Zensur nicht mit jeder Form der sozialen Kontrolle gleichgesetzt werden kann, da sie sich stets auf die veröffentlichte Meinungsäußerung bezieht.[4] Die Zensur lässt sich vielmehr als ein gestaffeltes System verstehen, das bei Autor:innen beginnt und über Verlagsmitarbeiter:innen bis hin zu staatlichen Gutachter:innen reicht.[5]

Zugleich beginnt im 20. Jahrhundert – mindestens seit den 1970er Jahren mit der Tagung der geisteswissenschaftlichen Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik (der gleichnamige Tagungsband erschien 1976) – eine bahnbrechende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Komik. Mit dem veränderten Forschungsinteresse geht auch eine Aufwertung der Komik einher: Zuvor wurde ihr nicht selten eher eine unterhaltende Funktion zugewiesen, aus der sich das Interesse an der Belehrung z.B. des Publikums ableitete. Die gegenwärtigen Forschungsdiskurse überschreiten eine solchermaßen eingeschränkte Position, indem sie etwa – wie in zwei Tagungen zu Elfriede Jelinek (Komik und Subversion und Das Lachen ist der Ausnahmezustand) – nach den Möglichkeiten der Komik fragen, normative Grenzziehungen zu unterlaufen.[6] Dabei konnte die Jelinek-Forschung aufzeigen, dass mithilfe der Komik das Aufbrechen gesellschaftlicher Normvorstellungen gelingen kann, um politisch-gesellschaftliche Werte in Frage zu stellen, da die Komik unter anderem die Nicht-Einhaltung scheinbar natürlicher Ordnungen inszeniert.[7] Auch das Kasseler Komik-Kolloquium kommt zum Ergebnis, dass das Komische mit den Darstellungen normativer Grenzbereiche arbeitet.[8] So versteht dieses Symposium Komik als ein Verfahren, Abweichungen von herrschenden Normen darzustellen, um genau damit eine belustigende Wirkung zu erzeugen.

Im 20. Jahrhundert entfaltet sich eine komplexe Dynamik in Bezug auf die Zensur, die vor allem aus dem Zusammenprall unterschiedlichen ideologischen Strömungen und politischen Interessen resultiert. Im Nationalsozialismus erlebt Deutschland die strukturell wirkmächtigste Form der Zensur in ihrer eigenen Geschichte, aber auch in Spanien unter Franco oder in der Sowjetunion unter Lenin entstehen tiefgreifende Zensurapparate. Obwohl sich der moderne Westen im eigenen Selbstverständnis als zurecht freiheitlich demokratisch versteht, gab es mit den Kommunistengesetzen in der BRD oder der strikten Theaterzensur in Großbritannien Fälle, in denen Äußerungen strukturell und institutionell kontrolliert und sanktioniert wurden. Da sich gerade im 20. Jahrhundert verschiedenste politische Systeme gegenüberstehen, die zugleich auch international vernetzt sind, werden keinen expliziten geographischen Rahmen für das Symposium vorgegeben. Insbesondere die Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts demonstriert die schwierige Grenzziehung konkreter künstlerischer Schaffungsorte, die auch durch die beiden Weltkriege zusätzlich befördert wurde.

Das studentische Symposium setzt an den Ergebnissen neuerer Forschungen zur Komik an, möchte das kritische Potenzial der Komik aber weitaus fokussierter ausloten, indem der Aspekt der Zensur zentral wird. Bisherige wissenschaftliche Tagungen haben das Verhältnis von Komik und Zensur nur gestreift.[9] Es handelt sich mithin um ein dringendes Forschungsdesiderat. Indem dieses Symposium die Komik und ihre subversiven Inszenierungen als Normverstöße in den Blick rückt und diese mit der Zensur verbindet, soll außerdem die Möglichkeit untersucht werden, ob bzw. inwiefern Komik ein geeignetes Mittel dafür ist, gesellschaftlich und/oder staatliche Repressionen zu umgehen, zu entlarven oder gar außer Kraft zu setzen. 

Statt einzelne Autor:innen oder Künste monodisziplinär zu beleuchten, gilt es, das Verhältnis von Kritik und Zensur mittels der Komik aus literatur-, kunst-, musik-, theater-, film- und medienwissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten. Auf diese Weise soll ein vertieftes Verständnis für Komik und Gesellschaftskritik ausgearbeitet werden. Zugleich soll mit der zeitlichen Grenzziehung und dem Blick auf das 20. Jahrhundert zugunsten zielführender, aufeinander bezogener Diskussionen auf dem Symposion vermieden werden, dass die Analysen historisch zu weit voneinander divergieren.  

Ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis von Komik und Zensur soll anhand von fünf Schwerpunkten das gesellschaftskritische Potenzial der Komik untersucht werden.

  • Ästhetische Verfahren – Ironie, Parodie und Satire: Ironie, Parodie und Satire stellen Grenzfälle des Verstehens dar, indem sie das Gegenteil des Wortwörtlichen inszenieren oder als Gegendarstellung bereits getätigter Aussagen fungieren. Das Symposium interessiert sich für die damit verbundenen ästhetischen Verfahren und dafür, wie diese eine Kritik an herrschenden Normen inszenieren und zeitgleich verschleiern.
  • Gattungsfragen: Ausgehend von Claudia Stockingers und Bernhard Greiners Komikbegriffen, in denen Komik als eine Abweichung von geltenden Normen verstanden wird, soll nach den gattungsspezifischen Merkmalen gefragt werden, in denen sich Gesellschaftskritik mittels Komik artikuliert.[10]
  • Figurenkonstellationen: Die Figur der Spaßmacher:innen zeichnet sich in den verschiedenen Künsten durch ihre Lizenz zum normabweichenden Verhalten aus.[11] So fungiert sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Alter Ego literarischer Autor:innen, während sie im Stummfilm eine essenzielle Rolle einnimmt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewinnen Solo-Performer:innen im Medium des Fernsehens als politische Kabarettist:innen besonders an Relevanz. Für das Symposium sind sowohl kunsthistorische Fragestellungen relevant als auch medienhistorische Analysen zur Figuration des Spaßmachers im Bezug zur Kritik.
  • Komik als geduldete Kritik: Die Komik lässt sich mitunter als eine strategische Entscheidung verstehen, um in einer repressiven Gesellschaft die Zensurmechanismen zu unterlaufen. So galten sowohl in der NS-Zeit als auch in der DDR gesonderte Auflagen zur Regulierung von Komik. In diesem Spannungsverhältnis steht z.B. der Filmregisseur Erich Engel, offenkundiger Kommunist, der während der Zeit des Nationalsozialismus größtenteils nur Lustspiele drehte, um den Kontrollmechanismen der NS-Zensur zu entgehen. In der DDR gab es dagegen mit dem Kabarett Die Distel die Möglichkeit einer freieren Äußerungsform der Gesellschaftskritik, die nur in Form der Komik gestattet war. Wie konnte hierbei mithilfe der Komik trotz der Zensur eine Kritik an den herrschenden Normen formuliert werden?
  • Grenzen der Komik: Anschließend stehen jene verbotenen Werke im Mittelpunkt, deren Versuch, mithilfe der Komik eine kritische Meinungsäußerung zu publizieren, misslangen. In welchen Fällen wurde Komik aufgrund ihres gesellschaftskritischen Potenzials sanktioniert und warum? Welche Kritik übt der Zensus an der Komik? Hierbei stehen sowohl die Künstler:innen im Exil im Fokus als auch durch die Zensur kriminalisierte Werke wie Schostakowitschs Oper Die Nase. Ferner sind staatliche Gutachten von Zensurbehörden oder Verlagskorrespondenzen zu sanktionierten oder unveröffentlichten Werken von Interesse.

 

Das Ziel ist, das vergleichsweise junge Forschungsfeld ‚Zensur und Komik‘ zu expandieren und zugleich ein internationales und interdisziplinäres Netzwerk von Nachwuchsforscher:innen aufzubauen. Die Vorträge sollen 25-30 Minuten dauern, woran eine Diskussion von 30 Minuten angeschlossen wird. 

 

Ein Abstract von etwa 300 Wörtern kann zusammen mit einem kurzen Lebenslauf (Angaben zum Studiengang, bisherigen akademische Erfahrungen) bis zum 8. Juli 2024 an walter.schilling@hu-berlin.de und emira.donlagic@hu-berlin.de gesendet werden. Eine Rückmeldung erfolgt dann Mitte Juli. Die Kosten für Reise und Unterkunft werden für die Vortragenden übernommen. Die Tagung findet vom 23.10 bis zum 25.10.2024 statt.

 

[1] Nikola Roßbach: Achtung Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen. Berlin 2018, S. 11.

[2] Vgl. ebd.

[3] Vgl. ebd., S. 19f.

[4] Vgl. Dieter Breuer: Geschichte der literarischen Zensur in Deutschland. Heidelberg 1982, S. 9.

[5] Vgl. Siegfried Lokatis: Der Argusblick des Zensors. In: Die Argusaugen der Zensur. Begutachtungspraxis im Leseland DDR. Hrsg. v. Siegfried Lokatis und Martin Hochrein. Stuttgart 2021, S. 13-25, hier S. 18.

[6] Das Lachen ist der Ausnahmezustand. Komik und Subversion im Musiktheater, Universität Wien, 21. und 23.11.2017. Org. v. Pia Janke und Konstanze Fladischer; Komik und Subversion. Ideologiekritische Strategien, Universität Wien, 19-21.06.2018. Org. v. Pia Janke und Christian Schenkermayr.

[7] Vgl. Pia Janke und Christian Schenkermayr: Einleitung. In: Komik und Subversion. Ideologiekritische Strategien. Hrsg. v. dens. Wien 2020, S. 9-14, hier S. 9.

[8] Vgl. Friedrich W. Block: Keine Komik ohne Grenzen! Einleitung und Synopse. In: Grenzen der Komik. Ergebnisse der Kasseler Komik-Kolloquiums. Hrsg. v. Friedrich Block und Uwe Wirth. Bielefeld 2020, S. 7-18.

[9] Das Symposium Musik in Diktaturen verdeutlicht die Forschungslücke, da zwar hier der Fokus auch auf die Zensur gelegt wird, dabei jedoch die Komik vernachlässigt wird (vgl. Musik in Diktatur(en). Propaganda, Exil und Machtinstrument, Universität Halle (Saale), 8.-10.12.2023, Org. v. Dachverband der Studierenden der Musikwissenschaften e. V.).

[10] Vgl. Stockinger: Komisch, S. 147; Vgl. Bernhard Greiner: Komödie/Tragikomödie. In: Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2017, S. 30-34, hier S. 31.

[11] Hans Rudolf Velten: Der Spaßmacher. In: Komik. Ein Interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. v. Uwe Wirth. Stuttgart, 2017. S. 42-46, hier S. 42.

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Literature and sociology, Literary genre, Rhetoric, Rhetorical figure (allegory, symbol, metaphor), Themes, motifs, thematology

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Date of publication: 03.06.2024
Last edited: 03.06.2024